┌ Persönliches Logbuch – Eintrag 10
├ Datum: 31. Mai 2952
└ Ort: Avenger Titan → Derelict-Site RHEL-43, Hurston
Ich habe den Start zwölfmal simuliert, zehnmal die Werte neu kalibriert und einmal einfach nur tief geatmet. Und dann habe ich es getan. Die Titan hob ab. Nicht perfekt. Nicht elegant. Aber sie hob ab.
Die Anzeigen sprangen wild zwischen Gelb und Rot, der Klang des Triebwerks vibrierte bis in meine Zähne, und im ersten Moment fühlte sich die Steuerung an, als wolle sie sich gegen mich wehren. Aber dann… wurde sie ruhig. Ein schwerer Wal, der sich nach Jahren wieder ins Wasser gleiten lässt.
Ich blieb niedrig. Kein Risiko. Keine Heldenmomente. Nur ein paar Kilometer bis zur Markierung „RHEL-43“. Eine alte, verlassene Einrichtung, deren ursprüngliche Bestimmung im Nebel der Archive liegt: Bergbau? Forschung? Militär? Niemand hat sich bemüht, das zu dokumentieren.
Als ich die Ruine erreichte, fiel als Erstes die Stille auf. Keine Drohnen. Keine Signale. Nur Wind, der an Metallresten schabte.
Die Landung war… holprig. Beim Sinkflug meldete die Titan eine Vektorabweichung im linken Düsenring: Thrust Misalignment / Severity 0.6. Nichts Dramatisches wenn man es rechtzeitig korrigiert. Ich tat es. Aus Reflex, nicht aus Können. Vielleicht beides.
Der Staub legte sich, und ich stand vor einem halbeingesunkenen Komplex. Stahlstreben wie gebrochene Rippen. Türen, die niemand mehr öffnet, außer mir.
Ich nahm das MultiTool und versuchte, mich durch das äußere Panel eines Terminals zu arbeiten. Die Verkleidung war verschmolzen, als hätte jemand versucht, das Modul zu versiegeln, bevor er flüchtete. Drei Schrauben brachen ab, eine Feder sprang mir entgegen, und mindestens zweimal fluchte ich so laut, dass es in der Titan widerhallte.
Aber irgendwann gab die Ruine nach. Die Notenergie reichte für einen Startbildschirm:
RHEL-43 | Lokale Diagnose – Nur Basissysteme aktiv
Mehr nicht...Kein Log, keine Namen, keine Geschichte. Nur die nüchterne Feststellung, dass dieser Ort existiert. Oder existierte.
Ich hätte gerne etwas Bedeutenderes gefunden ein Archiv, ein Hinweis, wenigstens eine Zahl, die irgendetwas bedeutet. Stattdessen bekam ich:
Datenintegrität: 3 % | Remote-Verbindungen: Keine
Vielleicht ist das die ehrliche Bilanz dieses Ortes.
Ich habe mir ein paar Komponenten für die Sensorik gesichert:
- zwei EM-abschirmende Spulen
- ein schlecht erhaltenes, aber brauchbares Interface-Junction-Kit.
Kleinigkeiten, die mir helfen könnten, wenn die Titan wieder anfängt, eigene Ideen von Flugwegen zu entwickeln.
Beim Verlassen des Moduls hatte ich kurz das Gefühl, beobachtet zu werden. Kein Tier. Keine Menschen.
Nur das Gefühl, dass Orte sich erinnern, wenn man sie besucht.
Auf dem Rückflug stellte die Titan plötzlich eine Warnung in den Raum:
Navigationssignal: instabil | Quelle unbekannt
Kein Verlust der Kontrolle, aber genug, um meinen Puls wieder daran zu erinnern, dass ich lebe. Ich steuerte manuell, bis wir den Boden erreichten. Hart, aber heil.
Ich habe die Titan abgeschaltet, die Systeme in ihren Ruhemodus entlassen und mich für einen Moment in den Pilotensitz sinken lassen. Es fühlt sich seltsam an: Ich habe heute nichts Weltbewegendes gefunden. Kein Geheimnis, keinen Durchbruch, keine Antwort.
Aber ich habe etwas anderes gefunden:
Ruinen zerfallen nicht, weil die Zeit sie zerstört, sondern weil niemand mehr da ist, der sich an sie erinnert. Vielleicht bin ich deswegen hier gelandet.
Morgen werde ich das Navigationssystem durchgehen. Wenn dieser Ort Interferenzen erzeugt, will ich wissen, warum.
Und irgendwann… ja… werde ich Eda berichten. Aber erst, wenn ich etwas vorzuweisen habe.
Für heute aber reicht ein Gedanke:
Ich fliege. Und die Titan fliegt mit mir.
| Ende Eintrag 10