
Log: Alaska_Seaseleare / 28.10.2955 Part 2 / ASD-Onyx Infiltration / Der Streit / Der Drache
Der Streit:
Wir standen auf der Heckrampe der "White Rabbit", bereit, uns in den nächsten Akt dieses Dramas zu stürzen. Brubacker war ungewohnt still, wirkte fast abwesend. Er hielt sich etwas abseits, schien mit ganz anderen Dingen beschäftigt zu sein als mit uns. Pike, Zero und ich standen bei den drei Leuten von Tyr. Wir alle spürten, dass die Zeit für Worte knapp wurde, doch eine ungelöste, brodelnde Spannung lag in der Luft.
„Kannst du mir endlich mal sagen, was das gestern sollte?“, Brus Stimme, gedämpft durch den Helm, platzte förmlich heraus. Zero blickte fragend auf Bru´s Visier. „Was bitte? Was soll ich gestern gesagt haben?“ „Dass wir Touristen seien!“, donnerte Bru zurück. „Dass wir uns wie Touristen auf einem Schlachtfeld bewegen würden. Völlig planlos! Wie kommst Du dazu, so etwas zu behaupten?“ Zero trat einen Schritt vor. „Lieber Bru, ich behaupte das nicht – es ist genauso gewesen! Wir machen hier keinen Ferienspaziergang! Ihr latscht da quer durch die Schusslinien in frei einsehbare Geländeabschnitte, einfach weil ihr gerade auf irgendetwas neugierig seid, oder was?“ Bru legte nach: „Du weißt schon, dass wir genau wissen, was wir hier treiben, und dass wir die Gefahren nicht aus purer Langeweile oder bescheuerter Abenteuerlust auf uns nehmen!“
Raff, einer der Söldner, versuchte von etwas weiter hinten einzuwerfen: „Solche taktischen Fragen müssten allerdings erörtert werden.“ Doch seine Bemerkung ging in der Hitze dieses Wortgefechts unter.
Zero erwiderte energisch: „Doch! Ich mache mir Sorgen um die Unversehrtheit unserer Gruppe, wenn wir uns so dilettantisch in diesem Umfeld bewegen. Ich habe so etwas auch schon mal anders erlebt, als ich mit Tyr unterwegs war. Da konnte man sich aufeinander verlassen. Man war geschützt durch seinen Nebenmann. Aber wir? Wir müssen andauernd darauf achten, dass der Nebenmann nicht irgendeinen Mist baut! Ich will gar nicht von unseren Gegnern reden!“
Pike und ich starrten betreten auf unsere Stiefel. Ich hatte den Eindruck, dass die Lautstärke und Wut in diesem Streit dem eigentlichen Anlass nicht angemessen waren. Hier ging es wohl um etwas Grundsätzliches zwischen den beiden Freunden. Die drei von Tyr schienen zu denken, dass sie einer Diskussion beiwohnten, die schon längst hätte geführt werden müssen. Jetzt, da es zum zweiten Trip in die ASD-Katakomben gehen sollte, war es für eine solche Aussprache sicher zu spät.
Kjeld und Raff beobachteten die Szene interessiert, aber mit fragenden Blicken. Frau Askari hantierte demonstrativ mit der Ausrüstung ihres Anzugs. Uns allen war die Situation sichtlich unangenehm. Ein solches Zerwürfnis in dieser Deutlichkeit hatte ich während meiner gesamten Reise mit der Gruppe Winters noch nicht erlebt.
Brubackers gesamte Körperhaltung, die auch sein Raumanzug nicht verbergen konnte, zeugte von innerer Anspannung. In dem Mann brodelte es. „Soll ich etwa hierbleiben, Zero? Ist das, was du willst? Dann musst du dich meiner Kritik nicht mehr aussetzen und kannst dein Ding so machen, wie du willst!“ Zero hörte sich das in Ruhe an, schüttelte dann den Kopf. „Lass gut sein, Bru, lass gut sein.“
„Ich habe den Eindruck, das wir hier nicht weiter kommen!“, tönte Kjelds tiefe Stimme. „Wir stehen konkreten Gefahren gegenüber. Dieses Gespräch ist notwendig, um uns klarzumachen, dass wir taktische Grundsätze besprechen müssen, bevor wir in diese Bunker gehen.“ Kjeld holte den Ursprung des Streits zurück auf eine professionelle Handlungsebene.
„Gut, dann lasst uns ins Schiff gehen und unser Vorgehen detailliert besprechen“, brummte Pike und marschierte entschlossen hinein in die White Rabbit.
Stumm folgten wir ihm in einer Art Gänsemarsch. Alle mussten wir durch einen Medic-Rover hindurch, um in den Hauptteil des Schiffes zu gelangen. Einige nahmen sich noch Utensilien aus den Fächern, wissend, dass sie diese lebensrettenden Dinge bald brauchen würden. Zero wartete bereits im Freizeitbereich seiner "White Rabbit" auf die Gruppe. Mitten im Raum dominierte ein wirklich wunderschönes Schachspiel die Szenerie. Scheinbar, um die Stimmung zu lockern, sagte er: „Da, Alaska, auf dem Schachbrett! Dort liegen noch zwei Artefakte. Vielleicht kannst du, alter Archäologe, diese Dinge mal bestimmen, wenn wir wieder Zeit haben, uns friedlicheren Fragen zu widmen.“ Neugierig wanderte mein Blick auf das Brett. Und ja, einige verwitterte Gegenstände lagen kaum sichtbar zwischen den Figuren. Ich nahm sie beide an mich, warf einen kurzen Blick darauf und murmelte irgendetwas von „altesTevarinzeug“ oder Ähnlichem. Ich steckte die Gegenstände einfach ein.
Der für alle sichtbare Elefant im Raum, war größer war als jedes Artefakt. Nach und nach trudelte der Rest ein, und je voller die Runde wurde, umso angespannter wurde die Stimmung.
„Zero, entschuldige bitte, ich habe da noch was...“, begann ich vorsichtig und schaute in die Runde. „Ganz ehrlich: Der letzte Tag mit der Erkundung dieser ASD-Bunker erinnert mich...“ Ich stockte. „Sorry, mir fehlen die Worte dazu...“ Ich machte eine Pause. „Dieses ewige Hin und Her gestern! Rein in den Bunker, Todesgefahren aushalten, Dinge finden, auswerten, anschließend hoch, ab ins Schiff – Nachricht an Hockrow... Dann das Warten auf die Antwort... Und wieder hinein! Dann immer wieder diese eine Antwort: Es reicht nicht!“ Ich brach mitten in meiner Rede ab. Die Runde schaute sich erneut fragend an.
„Wer in Herrgotts Namen steht denn jetzt eigentlich hinter dieser Agency?“, übernahm Brubacker das Gespräch. „Die rücken ihre Informationen nur scheibchenweise an uns raus, und nach jeder kleinen Scheibe wird die Gefahr größer! Das ist unverantwortlich! Ich möchte mal gerne wissen, was Hockrow mit den ganzen Informationen anfängt, die wir für sie besorgen sollen!“ Zero antwortete ganz ruhig: „Okay, Hockrow ist eine investigative Agentur, die für andere Auftraggeber investigative Dossiers erstellt. Mehr weiß ich auch nicht. Ich denke aber, die gehören zu den Guten!“ Ich setzte nach: „Da war doch immer von einem Auftraggeber die Rede. Wer zum Archibald Hurston... ist denn das? Zero, hast du keine Ahnung, wer hinter dieser Untersuchung von Hockrow steckt?“ „Nein. Ganz einfach, nein“, Zero zuckte mit den Schultern. „Das weiß ich nicht. Das kann ich euch nicht sagen.“
Dann herrschte Stille. Die Luft knisterte.
Es brauchte einen kleinen Moment, bis Zero die Stille brach: „Ich werde mal nachforschen, wer dieser Auftraggeber hinter Hockrow ist. Versprechen kann ich euch aber nicht, ob ich das jetzt in dieser Zeit schaffen werde. Aber ich werde versuchen, euch zum nächsten Mal etwas über Hockrow erzählen zu können.“ Dieser Satz war ein vorläufiger Schluss unter dieser hitzigen Diskussion. Raff ergriff jetzt das Wort: „So, jetzt wird es Zeit, sich wirklich über das taktische Vorgehen in der Höhle zu unterhalten. Wir haben heute noch einiges vor uns.“
[...]
Zero ließ die White Rabbit aus dem Hangar von Baijini. gleiten und setzte erneut Kurs auf Lyria. Beim letzten Mal hatte er keine Probleme, eine Landefreigabe für diese Bunkeranlage zu bekommen. Hockrow machte in diesem Punkt scheinbar wirklich ganze Arbeit.
Wir hatten mit Kjeld noch ein ausführliches Gespräch über taktische Grundsätze bei Infiltrationen geführt. Nun lief alles koordinierter ab. Es gab jetzt eine ganz klare Ansage, wer an welcher Position zu stehen hatte, auf wen und wann man aus der Gruppe zu hören hatte und hinter welcher Linie sich die Gruppe Winters aufzuhalten hatte, während die Gruppe Tyr die Räume und Gänge vor uns begutachtete.
Vielleicht war der Streit am Ende wirklich gut dafür, in diesen Dingen nun aufmerksamer zu sein.
Erneut arbeiteten wir uns durch diese Orte des Verfalls und des Todes, bis hinunter in die letzte Etage, die wir am Tag zuvor verlassen hatten. Die Gruppe war den gesamten Weg über angespannt und konzentriert, suchte erneut in fast jedem Winkel nach Datensätzen, kam aber, zum Erstaunen aller, fast unbehelligt weiter. Dennoch, je tiefer wir kamen, umso unheimlicher wurde die Atmosphäre in diesen Katakomben. Unsere Stimmung sank.
Der Drache:
Als wir unser letztes bekanntes Stockwerk auf dem Weg in die Tiefe passierten, kam es zu den ersten Kontakten mit Plünderern. Doch die Söldnergruppe um Kjeld Stormarnson war diesen Scharmützeln problemlos gewachsen. Selbst als die Leute von Tyr in eine längere Schießerei verwickelt wurden, schafften wir es – wenn auch nur füßescharrend – an unseren Positionen zu bleiben. „Die Leute von Tyr sind Profis! Die werden uns rufen, wenn sie uns brauchen!“, sagte Pike. Auch er hatte Schwierigkeiten, Kjeld und seine Leute alleine kämpfen zu lassen, schaffte es aber dann doch, bei uns zu bleiben. Wir hätten sonst auch von hinten keinen Schutz mehr gehabt; von daher war ich ganz froh über Pikes Anwesenheit.
Schließlich erreichten wir eine größere Halle in der Tiefe der Station. Bru und ich arbeiteten uns gerade an eine Brüstung heran, die in Höhe eines ganzen Stockwerks ringsherum die Halle umspannte.
Was wir beide dort zu sehen bekamen, verschlug uns die Sprache. Ich wandte den Blick und schaute Bru ins Visier: „Was? Was ist das?“ Brubackers Blick blieb an diesem Etwas haften, das nicht nur uns, sondern auch alle anderen in seinem absurden und monströsen Anblick fesselte.
In der Tiefe der Halle herrschten die üblichen Symptome des Verfalls wie in der gesamten Station. Doch mittig, am Boden des Hallenendes, war ein Container leicht erhöht positioniert. Er wirkte wie ein Altar in einem alten Kirchenschiff. Über diesem Container breitete auf Höhe des ersten Stockwerkes etwas seine Schwingen aus. Wie ein Drache hing ein kleines Jagdraumschiff direkt über diesem „Altar“. Die organische Formensprache des Fliegers legte nahe, dass es sich hierbei um einen Jäger der Vanduul handeln musste. Ich kannte die einzelnen Typen dieser Raumschiffe, der schlimmsten Feinde der Menschheit, nicht. Doch jedes Kind konnte die Form eines Vanduul-Jägers von der Form eines von Menschen gebauten Raumschiffes unterscheiden. So eindeutig war die Anmutung, die mehr an einen Raubvogel oder Drachen erinnerte als an ein Stück Technik. Husky, Pike, Brubacker und ich standen mit weit geöffneten Mündern vor diesem nahezu religiös aufgeladenen Arrangement: 'Altar und Gottheit'.
Die umlaufende Brüstung in Stockwerkhöhe, die der Halle eine Ähnlichkeit mit einem Kirchenschiff verlieh, trug zur sakralen Stimmung bei. Nur, dass sich niemand hier im Angesicht eines seltsamen Gottes wohlfühlte. Ich wurde unweigerlich an eine Bildsprache, irgendwo zwischen Hieronymus Bosch und H. R. Giger erinnert. Die ausgebreiteten Schwingen des Fliegers wirkten weniger wie ein Flügelpaar als ein weit aufgespannter Baldachin, der die gesamte Szenerie würdevoll überschattete. Die Schläuche und Leitungen, die in den furchteinflößenden Raumjäger hineinführten, ließen den Flieger wie einen erlegten, aufgehängten Drachen erscheinen – einen gestürzten, ja getöteten Herrscher, der selbst im Tod sein Gegenüber immer noch erschaudern ließ. So beängstigend absurd und doch feierlich wirkte diese Szene auf mich.
Ich musste den Kopf schütteln, um die Bilder zu vertreiben. Dieses ewige Beschäftigen mit fremden Kulturen, Symbolen und Religionen ließ unweigerlich solche Bilder in meinem Kopf entstehen. „Das ist der Fluch meiner Wissenschaft!“, murmelte ich und versuchte, meine Gedanken wieder mehr ins Diesseitige zu lenken. Brubacker ging in die Mitte des Raumes und machte sich neugierig an dem blutverschmierten Container zu schaffen. Ich war immer noch gebannt von der Aura dieser eigentlich ganz simplen Kiste, die für mich wie ein Altar wirkte. Bru war anscheinend von solchen Bildern unbelastet und manipulierte einen Verschluss des Containers. Plötzlich öffnete sich die Front des Containers und gab einen ebenso blutbesudelten Innenraum frei.
„Da scheint der Pilot dieses Schiffs drin gesessen zu haben. Man hat ihn wohl gefangen genommen. Blutig, wie das hier alles ist, war dieser Vanduul wohl schwer verletzt!“, mutmaßte Brubacker. Vor meinem inneren Auge erschienen Bilder von Opferritualen. Ich sah mich um und murmelte: „Was ist das hier für ein seltsamer Aufbau? Das ist doch... ein mythisches, sakrales Arrangement. Das ist doch mit Absicht so beeindruckend arrangiert worden!“
Doch zurück in die Realität: Es war ein Versuchsaufbau. Ein Experiment. Ein schauerliches zwar, aber ein Experiment. Ich machte mich daran, die mit dem Raumschiff verbundenen Kabelstränge und Schläuche zu begutachten. Es gab auch Schläuche, durch die wohl eine Flüssigkeit in das Schiff hineingepumpt wurde und an anderen wieder herauslief – wie Blut, das ein Organ ernährt. Eine Art Nährflüssigkeit?, pflanzte sich dieser Gedanke in meinem Kopf fest. Die Vanduul hatten schon früher biologische Komponenten mit technischen verbunden. 'Biokybernetik' war für diese marodierenden Jäger keine Neuigkeit. Die gesamte von den Vanduul übernommene und in der UEE verbreitete Regenerationstechnik fußte im Wesentlichen auf diesem Prinzip: der Verzahnung von technischen und biologischen Prozessen.
„Oje! Ich werde wohl verrückt!“, stieß ich hervor. Schon wieder Dinge, die ich mir mit meinen trockenen wissenschaftlichen Herleitungen nicht vernünftig erklären konnte! Es war wie auf Aberdeen! Diese riesige künstliche Mauer war auch mit nichts zu entschlüsseln, was die Wissenschaft bislang an Erkenntnisprozessen zur Verfügung stellte. [1] [2] [3] Am Ende blieb auch hier in diesen Katakomben ein Rätsel übrig, das einer sehr langfristigen Untersuchung bedurfte. Doch dafür hatten wir jetzt keine Zeit mehr. Vielmehr drängte sich ein Gedanke auf, der sich beängstigend in meinem Kopf festsetzte:
„Wenn wirklich ein Vanduul in dieser Kiste gewesen ist. Wo ist er jetzt?!“