
┌ Persönliches Logbuch – Eintrag 09
├ Datum: 27. Mai 2952
└ Ort: Avenger Titan, Nähe Rappel-Außenposten, Hurston
Ich kann mich nicht erinnern, wann ich das letzte Mal geschlafen habe, ohne dass irgendein System eine Fehlermeldung ausspuckte. Vielleicht ist das ein gutes Zeichen ...oder ein schlechtes. Der Körper rebelliert, aber der Kopf... der will mehr. Vielleicht ist es die Nähe zum Ziel. Vielleicht ist es Wahnsinn.
Heute habe ich das erste Mal das Haupttriebwerk der Titan direkt angesteuert. Keine Simulation, kein Diagnoselauf, echte Energie, ein echter Versuch.
Und es war... beeindruckend. Nicht im Sinne von erfolgreich, sondern im Sinne von lebendig.
Ich hatte die Kühlströme vorher nochmal neu abgestimmt. Die Taktung läuft jetzt stabil bei 3,9 Hz, mit temporärem Spielraum nach oben, wenn ich das Druckventil auf manuell schalte. Risiko: thermischer Rückschlag bei längerem Schub, aber für einen Startversuch reicht es. ...Sollte es zumindest.
Ich musste mir eine improvisierte Dichtung bauen. Alte Polyflex-Hülle, Thermosiegel, zwei Klammern aus dem Werkzeugkasten. Kein Ingenieur würde das jemals durchwinken. Aber es hat gehalten.
Beim Hochfahren des Triebwerks kam kurzzeitig ein Fehlercode 4132 zurück, der gleiche wie beim letzten Mal. Ich wusste mittlerweile, dass er mit dem Leitungskanal für die sekundäre Impulsverteilung zusammenhängt. Das Problem: Der Leitungskanal war vollständig gekapselt, verschweißt mit dem Rumpf. Kein Zugang ohne Plasmaschneider oder viel Zeit.
Ich habe mich für Option zwei entschieden.
Es hat fast sechs Stunden gedauert, die Schutzschicht zu lösen. Die Titan hat dabei mehrfach ihre eigene Integrität infrage gestellt, mit jedem Knacken im Metall hatte ich Angst, dass sie sich einfach entscheidet, mich rauszuwerfen. Aber sie blieb ruhig. Fast, als würde sie wissen, was ich tue.
Der Leitungskanal war verkohlt. Ein alter Kurzschluss, vermutlich bei der letzten ernsthaften Belastung. Ich habe die betroffenen Elemente ersetzt, keine Originalteile, aber passende Ersatzmodule, die Eda mir überlassen hatte. Ich hatte gezögert, sie zu verwenden. Jetzt weiß ich: Sie waren für genau diesen Moment bestimmt.
Systemdiagnose nach der Reparatur:
Fehlercode 4132 - nicht mehr vorhanden.
Fehlerspeicher: gelöscht
Ich habe gelächelt. Nur kurz. Dann habe ich tief durchgeatmet.
Dann habe ich das Triebwerk wirklich aktiviert.
Der Schub war da, kurz, aber deutlich. Für einen Moment löste sich die Titan vom Boden, vielleicht einen halben Meter. Dann setzte eine Spannungsspitze ein, die Anzeigen flackerten, Warnsignale kreischten und der Schub brach wieder weg.
Ich fing die Titan ab, drückte sie sanft zurück auf den Boden. Ich habe sofort abgeschaltet. Ich wollte kein Risiko eingehen. Kein Absturz. Kein Rückschlag. Keine Schäden. Nur ein Herzschlag zu viel und das Wissen: Sie kann es. Noch nicht gut, aber sie kann fliegen.
Aber dieser Moment... er hat etwas verändert.
Die Titan ist wieder ein Schiff.
Kurz nach dem Aufsetzten fingen die Lautsprecher im Cockpit an zu knistern, ein weiterer Eintrag aus dem Bordlog:
Zitat von Boardarchiv„Falls du den Kurs berechnest... nimm nicht die kürzeste Route.
Es geht nicht darum, wie schnell du ankommst. Sondern was du mitbringst, wenn du’s tust.“
Die Stimme ist vertrauter geworden. Nicht, weil ich sie kenne, sondern weil sie mir immer weniger fremd vorkommt.
Die Logs sind fragmentiert, aber ich konnte ein weiteres Navigationspaket extrahieren. Diesmal keine Koordinaten, sondern eine Art Paketbeschreibung:
SCM-Alpha-Kern | Capital-Class-Modul – Signatur: unvollständig | Ursprung: Nyx | Status: Unbestätigt
Ich weiß nicht, was das bedeutet. Vielleicht ein alter Traum des Vorbesitzers. Vielleicht ein Ziel, das nie erreicht wurde.
Ich habe das Fragment archiviert. Aber ich werde es vorerst nicht verfolgen.
Nicht jetzt.
Ich denke immer wieder an Lorville. Es wäre so einfach einen Flug anmelden, Kurs setzen, dort landen, wo es Ersatzteile, Arbeit & Antworten gibt.
Aber jedes Mal, wenn ich den Kurs simuliere, spüre ich diese Leere. Als würde ich das Falsche tun, obwohl es das Vernünftigste wäre.
Stattdessen denke ich an die Derelict Sites, weiter draußen. Ich habe einige in der Karte markiert. Alte Forschungsstationen und Verlassene Siedlungen. Orte, die von den Karten verschwunden sind, aber noch Reste haben. Vielleicht finde ich dort Hinweise. Vielleicht nur Schrott. Aber irgendetwas zieht mich hin.
Die Titan ist bereit für den nächsten Schritt. Ich spüre es. Und ich bin es auch.
Morgen früh werde ich das Triebwerk erneut hochfahren, nicht zum Abheben, nur gerade so viel Leistung, dass ich den Fehler im laufenden Betrieb provozieren kann. Ein Balanceakt: genug Energie, um Antworten zu bekommen… aber nicht genug, um in eine unkontrollierbare Schubwelle zu rutschen.
Es fühlt sich an wie Arbeiten über offenem Feuer. Jede Sekunde kann kippen, ein Funke zu viel, ein Wert im roten Bereich und die Titan könnte mich dafür bestrafen. Doch ohne Risiko bleibt der Fehler im Dunkeln.
Gefährlich? Ja. Einsam? Auch das.
Aber vielleicht ist genau diese Art von Gefahr der Preis, den man zahlt, wenn man etwas wieder zum Leben zwingt, das schon lange aufgegeben wurde.
| Ende Eintrag 09