
Alaska_Seadeleare´s Logbuch / Baijini Point / Stanton / 28.10.2955 SET / Hangin´by a thread... / ASD-Onyx Infiltration
Ich kam mir vor, als würde ich an Fäden hängen. Wie eine Marionette! Genau das war das Gefühl, das ich einfach nicht mehr loswurde. Es war eine eine Menge passiert. Ich wusste, dass Zwiebus nicht in dem Raumschiff saß, das von der Polaris zerstört wurde. Wir mussten aus GrimHex verschwinden. Der Boden dort wurde uns einfach zu heiß.
Die "freundlichen Gespräche" auf der Hathor-Orbitalstation mit den dortigen Besitzern... Tja, was soll ich sagen? Sie führten jedenfalls dazu, dass GrimHex, der Hort der Nine-tales, keine sichere Zuflucht mehr für uns war. Man sollte sich eben nicht mit den Leuten anlegen, die einem das Dach über dem Kopf garantierten. Wir hatten Nachricht von Zero bekommen: Er hatte über diese seltsame, ominöse Hockrow Agency ein paar Inkognito-Betten auf Baijini Point für uns organisiert. Dort sollten wir uns mit den Leuten treffen, die Zero von Tyr mitbringen wollte.
Diese Hockrow Agency war nun quasi unser neuer Auftraggeber. Wir sollten Daten über diesen seltsamen Dr. Jorrit „Frankenstein“ beschaffen. Zero meinte, die Agency wünsche ein vollständiges Dossier über diesen Wissenschaftler. Wir, die wir uns ohnehin mit der ASD angelegt hatten, waren natürlich dazu prädestiniert.
Ich fühlte mich auf Baijini Point nicht sicher – eben weil es eine hochmoderne Raumstation mit intakten Überwachungseinrichtungen war, die jeden Quadratzentimeter jede Sekunde im Blick hatten.
Zero versuchte, uns zu beruhigen: „Macht euch keine Sorgen. Die Hockrow Agency hat dafür gesorgt, dass alle möglichen Datensätze, die euch betreffen, verschleiert sind.“
„Wer’s glaubt, wird selig“, schoss es mir durch den Kopf. Aber wir hatten ja keine andere Wahl. GrimHex war zu heiß, alle anderen Orte in Stanton sowieso. Da blieb nur die von der Hockrow Agency gehackte Baijini Point Station übrig. So weit musste unser Vertrauen jetzt tatsächlich reichen. Eine andere Chance, irgendwo unterzukommen, hatten wir nicht mehr.
Wir sollten uns in Zeros Hangar treffen. Dort sollten dann noch weitere Leute von dieser Tyr-Truppe zu uns stoßen. Ich machte mich also auf den Weg – ich versuchte zumindest, nicht von irgendwelchen Kameras entdeckt zu werden.
„Hallo, Brubacker“, grüßte ich den Journalisten. Zero kam aus der Tiefe des Hangars nach vorne gelaufen. Er hatte sich inzwischen einen dichten Vollbart stehen lassen. Jeder versuchte wohl, sein Aussehen irgendwie zu verändern.
Ich wusste nicht, ob Pike schon wieder zu viel getrunken hatte. Über Funk ließ er uns wissen, dass er auf jeden Fall noch eine Weile brauchen würde, um zu erscheinen.
Aber da waren noch einige andere Leute: natürlich die angekündigten Tyr-Bewacher. Eine Frau, Risa Hellström, die sich als „Battle Medic“ vorstellte; ein Typ namens Batu, der der Ranghöchste dieser drei war; und eine Jennifer Askari. Sie sollten uns bei unserem Trip in den ASD-Bunker begleiten. Eigentlich nicht nur begleiten – sie sollten uns schützen, das Gebiet vorher „klären“, wie es so schön heißt. Ich war sehr dankbar dafür. Obwohl ich mich inzwischen mit Schusswaffen vertraut glaubte, waren mir professionelle Schützen an meiner Seite doch sehr lieb.
Es fing allerdings gleich sehr unprofessionell an, denn Jennifer hatte ihre Munition vergessen. „Alter Falter! Das nenne ich einen Einstand“, konnte ich mir dann doch nicht verkneifen.
Ein vierter, mir Unbekannter, war auch noch zugegen: ein Typ, der sich Husky nannte und sich als Enkel von Friedrich Winters vorstellte. Da war ich erstmal platt!
Friedrich Winters, der eigentliche Leiter unserer Expedition nach Pyro und anschließende Chef unserer Gruppe bei den Abenteuern in den ASD-Laboren, war ja verschollen. Besser gesagt: Er wurde verhaftet. Und zwar muss das schon auf GrimHex passiert sein. Die Nine-tales hatten irgendeine miese Schiebung mit Crusader Security veranstaltet – Friedrich war das Bauernopfer. Wir waren uns alle sicher, dass die ASD der Drahtzieher hinter dieser Geschichte war.
Jetzt befand sich Friedrich in der Gewalt von Crusader Security und sollte nach Terra gebracht werden, um ihm dort ganz offiziell den Prozess zu machen. Er ist zumindest bislang das einzige Gesicht, das der UEE von den Vorfällen auf Pyro I bekannt wurde. Und dieser Husky war nun sein Enkel. Er war anscheinend auf Geheiß Brubackers zu uns gestoßen. Die beiden schienen sich wohl schon länger zu kennen. Jetzt also wollten wir mit diesen drei Gestalten von Tyr und diesem seltsamen Vogel namens Husky in jene ASD-Labore eindringen, die jener Herr Jorrit direkt geleitet hat.
Es fühlte sich mal wieder nach einem echten Himmelfahrtskommando an. Wer genau war die Hockrow Agency, von der ich bis vor Kurzem noch nichts gehört hatte? Hinter ihr stand ein Auftraggeber, über den ich nichts wusste. Weder Brubacker, der Journalist, noch Zero, unser Kontaktmann zu Hockrow, konnten irgendetwas über diesen seltsamen Hintermann sagen, der hinter dieser Agentur stand.
Zero versuchte, Zuversicht zu verbreiten: „Ich habe noch Ausrüstung im Schiff. Da könnt ihr eure Munition aufstocken und Medpens mitnehmen. Außerdem war ich schon mal dort, die Anfänge der Höhle kenne ich. Aber es wird haarig werden, das verspreche ich euch.“
Mit dieser Ermutigung war ich ja schon zufrieden. Zeros MobiGlas fing an zu piepen – es trudelte wohl eine Nachricht von Hockrow ein. Zero murmelte: „Mister Mallor hat sich gemeldet. Die ASD-Station ist auf Lyria, also direkt hier um die Ecke.“
Das war wirklich bemerkenswert: Unser Ziel lag direkt in der Nähe des absolut wichtigsten Handelsplaneten der UEE. Ich wunderte mich: „Ich kann mir gar nicht vorstellen, dass Blackjack Security diese Anlage noch nicht gesehen hat. ArcCorp hat in seiner Nähe doch normalerweise alles unter Kontrolle.“ Ich weigerte mich, innerlich noch mehr Vermutungen anzustellen.
Wir enterten Zeros „White Rabbit“ und machten uns flugs auf den Weg nach Lyria.
In der Dunkelheit der Stanton abgewandten Seite des Mondes schälte sich langsam die bedrohliche Silhouette einer Bunkeranlage heraus. In riesigen, brennenden Lettern prangten die Buchstaben A, S und D an den Außenwänden. Dieses rote ASD-Dreieck würde mich noch in meinen allerletzten Träumen verfolgen.
Wo auch immer Zero den Zugangscode her hatte: Wir konnten einfach in die Anlage hinein, in einen der bunkereigenen Hangars hineinfliegen. Ich brauchte niemandem zu erzählen, dass mich jetzt wieder ein zittrig-mulmiges Gefühl zu beherrschen begann. Wir überprüften unsere Ausrüstung und verließen das Schiff im Hangar, die Leute von Tyr voran.
Mit einem Fahrstuhl fuhren wir vom Hangar in eine Art Empfangsebene, die wohl eher repräsentativen Charakter hatte. Von hier aus zweigten ein „Engineering“- und ein „Research“-Flügel ab. Die Anlage hatte einfach riesige Ausmaße und machte den Eindruck, als sei sie noch deutlich größer als das, was wir auf Pyro I gesehen hatten. Wo dieses irre Experiment mit dem Riesen-Valakkar stattgefunden hatte. Allein die Größe der Anlage sagte mir, dass das, was wir hier zu sehen bekommen würden, unsere Vorstellungskraft bei weitem übersteigen würde. Hier mussten Hunderte von Menschen gearbeitet haben.
Ein meterdicker Kloß saß mir im Hals.
Die Anlage sah aus, als wäre sie sehr hektisch verlassen worden. Große Mengen an Unrat lagen verstreut herum; Möbel waren umgestoßen und versperrten teilweise den Weg und sogar Fluchtwege. Zerschlagene Flaschen hatten ihren Inhalt auf den Boden vergossen. Aus lecken Rohren drangen Feuchtigkeit und wasserfallartige Sturzbäche in diese Räumlichkeiten ein. Alles war in ein sehr, sehr dunkles rotes Licht getaucht, was die morbide Atmosphäre noch deutlich verstärkte.
Durch die massiven Wände und den Boden spürten wir feine Vibrationen, die scheinbar von irgendwelchen Generatoren oder anderen technischen Anlagen in der Tiefe erzeugt wurden. So verlassen schienen diese Labore nun doch nicht zu sein, wie ursprünglich angenommen! Umständlich versuchte ich, den Sicherungshebel an meinem Scalpel-Scharfschützengewehr zu lösen. Es war genau diese Waffe, die mir Lyrana damals gezeigt hatte und die mir irgendwie ein sicheres Gefühl gab – obwohl mir klar war, dass man in Räumen mit so einer Waffe eigentlich nicht gut kämpfen konnte. Unser Ziel war der Forschungsflügel dieser beängstigenden Einrichtung. Tagebucheinträge von diesem Jorrit sollten hier laut Zero zu finden sein. Diese Einträge waren genau das, worauf Zeros Auftraggeber aus war.
Mit einem weiteren Aufzug ging es weiter hinab. Ich schätzte, es waren wohl fünf bis acht Stockwerke, die weiter in die Tiefe führten. Die Stimmung in den Fluren, die jetzt vor uns lagen, war schon eine etwas andere. Der Geruch der Luft veränderte sich ins modrige, und manchmal hatte ich das Gefühl, den süßlichen Duft der Verwesung wahrzunehmen. Das fühlte sich nicht mehr wie eine Forschungseinrichtung an – das war ein Grab!
Eine Betondecke war eingestürzt. Unter den riesigen Fragmenten war ein frischer Leichnam begraben. Eine Hand schaute noch aus dem Schutt hervor. Sie war so gut erhalten, wie es nur bei einer Leiche sein konnte, die erst seit Kurzem hier lag. In demselben Haufen befand sich auch noch ein Schädel, der allerdings komplett verwest war und somit deutlich älteren Datums sein musste. Er konnte unmöglich gleichzeitig mit der Person getötet worden sein, die frisch verstorben unter den Trümmern lag. Ein kalter Schauer durchfuhr mich. Das fühlte sich unwirklich an.
Wie in einem schlechten Film hörten wir plötzlich aus den unteren Etagen ein dumpfes Poltern, das sich zu einem Knallen steigerte und dann wieder erstarb. Das alles klang wie eine große technische Anlage, wie Kondensatoren, die sich aufluden und dann plötzlich wieder entluden. Es wurden also doch noch große Mengen an Energie in dieser Anlage umgesetzt. War doch nicht alles verlassen? Waren Teile der Anlage noch in Betrieb? Gab es weiter unten noch Personal? Meine Finger, die den Lauf meiner Waffe hielten, verkrampften sich. Jetzt kam sie wieder auf, diese Angst.
Die drei Leute von Tyr machten allerdings einen guten Job und schauten in jeden Raum, um ihn für uns freizugeben. Erst dann betraten wir die Räumlichkeiten. In einem dieser von den Tyr-Leuten freigegebenen Räume fand Zero dann eine Art Aufnahme- oder Diktiergerät. Er sprach davon, dass Jorrit darauf zu hören sei – irgend so eine Art Durchhaltetext an seine Mitarbeiter, dass sie stolz auf ihre Arbeit sein sollten und so weiter...
Zero packte das Teil ein und sagte entschlossen: „Das hier werde ich wohl an die Hockrow Agency durchgeben müssen! Wir müssen sofort umkehren! Ich muss den Inhalt dieses Diktiergerätes per Richtfunk übermitteln!“
Er machte sich sofort wieder auf den Rückweg. Die Tyr-Leute sicherten uns nach hinten ab. Zügig und ohne Zwischenfälle erreichten wir den Hangar, machten das Schiff startklar und hoben ab. Verschnaufpause! Es war nichts geschehen, doch waren zumindest meine Nerven aufs Äußerste strapaziert.
Ich ahnte schon, dass Hockrow uns noch tiefer in diese Anlage schicken würde. Es dauerte keine fünf Minuten, da kam der Funkspruch der Hockrow Agency, in dem sie genau das forderten, was ich befürchtete.
Die Stimme aus dem Funk knisterte: „Der Inhalt dieses Diktiergerätes ist leider erst der Anfang. Wir brauchen noch viel detailliertere Informationen.“
Diese gab es aber nur in der Tiefe dieser Anlage. Hätte ich keinen Raumanzug angehabt, hätte ich mir vor Nervosität die Nägel abgekaut. Das alles schien Hockrow nicht auszureichen. Wir sollten jetzt noch mal in den „Engineering“-Flügel eindringen, und zwar deutlich tiefer, als wir bisher gelangt waren.
„Dämliches Rein-und-Raus-Spiel!“ hörte ich Brubacker fluchen. Es war ein seltsames Gefühl: Anfangs von der eigenen Motivation angetrieben, fühlte sich das jetzt an, als wären wir Erfüllungsgehilfen für irgendjemand anderen. Aber wir hatten das gleiche Ziel! Wir waren schließlich selbst Getriebene und Gejagte, die ohne eine Aufklärung dieser gigantischen Verschwörungsgeschichte selber unter die Räder kommen würden. Wir würden erst wieder als freie Menschen in Stanton leben können, wenn die Machenschaften der ASD und dieses Dr. Jorrit öffentlich gemacht worden wären. Es war vollkommen klar: Nur die Öffentlichkeit würde uns in dieser Sache Schutz bieten. Friedrich war ihr erstes Opfer, und wir würden folgen und vermutlich nicht so glimpflich davonkommen. Wir würden nicht in die Hände einer offiziellen Security-Organisation geraten – vielmehr hatte ich das Gefühl, als wenn irgendwelche Kopfgeldjäger der ASD den Rest von uns erledigen würden.
Aufs Neue wieder hinein in dieses Verlies. Wieder mit diesem bescheuerten Fahrstuhl hinunter in die Tiefe, aber nun zur anderen Seite, in den Ingenieursflügel. In diesem Teil der Anlage lagen einige Leichen von Plünderern herum, die wohl vor einigen Tagen vorgedrungen waren. Jetzt wurde mir klar: Das würde nicht gut enden!
Wie zur Bestätigung fielen plötzlich in der Ferne einige Schüsse! „Hurra! Darauf hatte ich gerade noch gewartet!“, dachte ich zynisch. Batu fuchtelte mit seiner Waffe herum und zeigte in eine andere Richtung: „Hier kommen wir jetzt nicht mehr weiter. Wir könnten versuchen, durch diesen Gang die Schwierigkeiten zu umgehen.“
Ich folgte widerspruchslos. Wir kamen in eine fast naturbelassene Höhle, in der kleinere Valakkare aus dem Boden schossen und ihren Tod in unseren Kugeln fanden. Falls da unten jemand auf uns wartete, wusste er jetzt nicht nur, dass jemand kommt, sondern auch, wie viele kommen würden! Die Kadaver dieser toten Valakkare schimmerten grün, und mir drängte sich unweigerlich das Gefühl auf, so etwas schon einmal erlebt zu haben. Wie ich diese Viecher hasste! Vor allem dann, wenn sie im Rahmen unmoralischer Experimente auch noch radioaktiv verseucht waren. Ich glaube, keiner von uns hatte einen Geigerzähler dabei. Aber die Erfahrungen, die wir in anderen ASD-Laboren bereits gemacht hatten, sprachen ihre eigene Sprache.
Wir ließen den Bereich mit den toten Valakkaren hinter uns. Vor uns tat sich eine riesige Höhle auf, die mit Großtechnik gefüllt war: riesige Aggregate, die brummten und dröhnten. Große, zerbrochene Rohre, aus denen eine zähflüssige Schlacke ausgetreten war, die anschließend erstarrt sein musste. Diese Anlage stand zwar noch unter Strom, war aber nicht mehr in Betrieb. Einzig und allein der Zweck dieser ganzen Geschichte blieb mir unklar. Vorsichtig, in Deckung dieser Anlage, gingen wir weiter in diese große Höhle hinein.
„Da ist ein Schacht!“, rief Zero, der sich gerade noch an einer Betonsäule festhalten konnte, um nicht hinabzustürzen. Mit ungläubigem Blick wandte ich mich um und erkannte den Schacht. Völlig vergessend, dass ich in freiem Schussfeld stand, blickte ich hinunter. Vier oder fünf Stockwerke! Die Luft war zu diesig und das Licht zu dunkel, um es genau sagen zu können. Der Schacht war wie ein Treppenhaus aufgebaut: Um das gähnende Loch herum reihten sich große Flächen auf jedem einzelnen Stockwerk.
Zero sagte: „Das ist unsere Chance.“ Er nahm Anlauf und sprang einfach hinein bis zum nächsten Stockwerk. Er kam unsanft auf, stand aber sofort wieder. So machte er weiter von Stockwerk zu Stockwerk und kam auf diese Art und Weise sicher unten an. Mir rutschte das Herz in die Hose. So richtig sportlich war ich ja noch nie. Ich sprang und schaffte die erste Etage. Neuen Mutes nahm ich weiter Anlauf und wollte in die zweite Etage springen, sprang aber irgendwie zu kurz, rutschte an der Betondecke ab und fiel ins bodenlose.
„Verdammt!“ Ich hatte mir wohl beim Aufprall auf die Zunge gebissen und spürte den metallischen Geschmack des Blutes. Der Morozov-Anzug hatte aber zum Glück eine Menge abgehalten. Außer ein paar kleinen Prellungen war wohl nichts passiert. Meine Waffen waren noch intakt und sind glücklicherweise dabei nicht losgegangen. Ich musste mich allerdings erst in eine Ecke zurückziehen und wieder berappeln. Die anderen folgten dann auf ähnliche Art und Weise. Bru war der Einzige außer mir, der auch abrutschte, aber, glaube ich, nicht ganz so tief stürzte.
Wir machten uns alle weiter auf den Weg, die Leute von Tyr voran, um auch die unterste Etage auf Hinweise auf die Arbeit von diesem Dr. Jorrit zu untersuchen. Im Kegel meiner Helmlampe tauchten am Boden liegende Leichen auf. Ich erschreckte mich fürchterlich.
Batu wechselte gerade sein Magazin. Er beruhigte mich: „Keine Sorge, die haben wir vorhin schon erledigt!“
Mir kam es schon wieder hoch. Auf was hatte ich mich denn da eigentlich eingelassen? Jetzt kam ich mir wirklich fremdbestimmt vor. Von einem Tag auf den anderen begab ich mich in Gefahren, die ich früher lichtjahreweit umschifft hätte. Und jetzt stapfte ich einfach hinterher. Hinter einer Gruppe, die ich als meine Freunde betrachtete, von der ich aber inzwischen den Eindruck hatte, dass ihre Eigenmotivation immer unklarer wurde. Ich fragte mich, was das mit uns zu tun hatte, dass Hockrow neue Daten zur Vervollständigung dieses Dossiers brauchte. Wozu brauchten die das? Zero gab keinen Hinweis darauf, was Hockrow mit diesen Informationen vorhatte.
Erneut ertönten ein paar Schüsse. Das Resultat dieses Lärms waren jetzt tote Kopione, ebenfalls grün leuchtend, die schon wieder übelste Erinnerungen in mir wachriefen. In Gedanken hörte ich das Knacken eines Geigerzählers, als ich mich diesen Kadavern näherte.
„Hier liegt ein Datenpad! Ich denke, das muss jetzt reichen. Hier strahlt es ja wie die Hölle! Wir müssen schnellstens wieder hoch!“, rief Zero uns zu. Er schnappte sich irgendein technisches Artefakt und steckte es ein.
Batu rief vom Ende des Ganges: „Hierher! Hier ist ein Fahrstuhl, der funktioniert!“
Wie von Fäden gezogen folgte ich seinem Ruf. Wir begaben uns allen Ernstes alle gleichzeitig in diesen Fahrstuhl, wohlwissend, dass uns oben irgendeine Gefahr erwarten könnte. In einen Fahrstuhl! Egal! Ich marschierte einfach nur noch mit. Ich dachte weder an Prof. Hyperion, noch an mein voriges Leben als Wissenschaftler. Ich war nur hier, in dieser Situation, und das war alles.
Ohne weitere Gegner oder schreckliche Vorkommnisse erreichten wir den Hangar. Wir enterten erneut die „White Rabbit“ und machten uns auf Zeros Geheiß sofort in den Orbit von Lyria auf. Das gleiche Prozedere wie letztes Mal: Antenne ausgeschwenkt, die Richtfunkstrecke etabliert und die Nachricht an Hockrow abgeschickt.
„Und ewig grüßt das Murmeltier!“ Wie üblich war Hockrow nicht zufrieden mit dem, was wir gefunden hatten. Sie wollten noch mehr. Zero gab uns den lapidaren Hinweis, wir müssten noch tiefer in die Anlage. Mit einem verzweifelten Grinsen sang ich leise ein altes Lied in meinen Helm: „Hangin’ by a thread, well I dunno ropes! Here the world loves the spider.“ Okay! Anlauf Nummer drei. Alle wieder runter! Jetzt der Research-Flügel.
Wieder runter mit diesem Fahrstuhl. Diesmal ein anderer Flur. Was wir jetzt sahen, war ein größerer Raum mit teilweise ausgeschalteten, teilweise noch blinkenden Netzwerk-Geräten. Die meisten Bildschirme waren schwarz, die anderen zeigten ein wirres Sammelsurium an mir unverständlichem technischem Text. Zwischen den Servern erneut Leichen! Einige waren in die typischen Lumpen irgendwelcher Plünderer gekleidet, die anderen trugen Overalls, die wohl die Zugehörigkeit zu dieser ASD-Station zeigten. Es sah weniger danach aus, als hätten sich diese beiden Gruppen hier bekämpft, sondern eher so, als hätten beide Fraktionen hier gleichzeitig den Tod durch etwas anderes gefunden. Mir stockte der Atem.
Ich sah diesen Husky an. Er fing an, in seinem Helm zu hyperventilieren! Ich war sicherlich nicht der Richtige, um Ruhe und Zuversicht zu verbreiten, doch ging ich auf ihn zu. Ich befahl ruhig: „Husky! Zähl jeden deiner einzelnen Atemzüge sauber durch!“ Ich sah ihn ernst von Helmvisier zu Helmvisier an. Husky fing an zu zählen. Sein Atem verlangsamte sich, und seine Atemzüge wurden wieder tiefer und kontrollierter.
Ich wünschte, ich hätte von Pike schon mehr mitbekommen. Bei all unseren Abstiegen wühlte er durch irgendwelche Kisten. Er machte dabei aber einen recht gut gelaunten Eindruck. Die Anspannung, die ich hatte und die auch den anderen teilweise anzusehen war, war bei Pike nicht zu spüren. Ich fragte mich: „Ist der Typ wirklich so eine coole Sau oder konnte er einfach nur sehr gut eine Fassade bauen?“ Ich hatte es jetzt nicht mehr genau in Erinnerung, aber unsere Gruppe trennte sich irgendwann. Wohl eher ungewollt als geplant. Ich erwischte mich plötzlich dabei, alleine in einem Kriechgang unterwegs zu sein. Irgendetwas musste mich neugierig gemacht haben, und ich war einfach da reingeklettert. Ich hatte Schiss, jetzt über Funk Bescheid zu geben. Wenn hier noch Personal war, welches zur Station gehörte, konnten die sicherlich unseren Funk abhören. Ich nahm mich zusammen und kroch weiter.
„Oh, da seid ihr ja! Was ein Glück, Pike, ich glaubte, euch verloren zu haben!“ Pike und Brubacker waren vor mir in diesen Kriechgang und in einen Raum gekrochen, der voll mit Munitionskisten und Waffen-Racks war. Pike, der alte Haudegen von Hurston Security, konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. Er packte ein paar Gewehre ein und sagte: „Das sind Waffen von Volt! Mit das Modernste und Heftigste, was als Handfeuerwaffe heutzutage gebaut wird.“
Wortlos schnappte ich mir auch so ein Ding, ohne wirklich zu wissen, wie diese Waffe einzusetzen war. Plötzlich hörte ich hinter mir Getrappel und Geschnaufe. Noch bevor ich mich umdrehen konnte, um herauszufinden, woher diese seltsamen Geräusche kamen, erklangen zwei Schüsse, und die Kopione, die gerade im Begriff waren, mich anzugreifen, fielen tot um. Keine Ahnung, woher Pike solche Reaktionszeiten hatte. Aber ich war sehr dankbar dafür, dass er sie hatte. Allerdings war das Grinsen auf seinem Gesicht verschwunden.
„Wir müssen tiefer, wir sind hier falsch!“, knackte es in unseren Helmlautsprechern. Zero hatte sich wieder zu Wort gemeldet. Also tiefer, tiefer hinunter.
Er hatte wie so oft den richtigen Riecher und wusste genau, wo er hinwollte. Wir arbeiteten uns tiefer in die Anlage vor und fanden einen Raum, der als Büro genutzt wurde. Er war voll mit kleineren Schreibterminals und Regalen, in denen kleine Speicherbänke lagen. Eine Kaffeemaschine war auch da. Dummerweise war keinem nach einer Pause. Beim Betreten des Raumes hörte ich das Klappern einer Tastatur. Zero hatte wohl schnell Lunte gerochen, sich sofort ein funktionierendes Terminal geschnappt und lud irgendwelche Daten herunter.
Das fühlte sich langsam echt beliebig an. Aber es war wichtig! Es war unsere Möglichkeit, der ASD, diesem verbrecherischen Konstrukt, das Handwerk zu legen. Was Hockrow mit dem Zeug wollte? Keine Ahnung!
„Hab alles! Wir können jetzt wieder hoch!“, meldete Zero.
Wir kehrten um, so schnell es ging. Insgeheim hoffte ich, jetzt endlich nicht mehr wieder hinunter zu müssen. Ich hatte diesen Husky aus den Augen verloren. Ich glaubte, Brubacker musste ihn noch ein zweites Mal beruhigen. Ein seltsames Gefühl – diesmal war nicht ich der Typ, der angesichts der Gefahr die Kontrolle zu verlieren drohte. Das war eigentlich sonst immer mein Part gewesen.
„Wir sind jetzt ca. 800 Meter in der Tiefe. Die müssen wir jetzt noch hoch!“ Pike hatte mit irgendeiner Funktechnik die Entfernung zur „White Rabbit“ gemessen. Tyr voran, machten wir uns wieder auf den Rückweg.
„Um Gottes willen! Was ist das?“ Ich weiß nicht, wer das gerufen hatte, aber wie bei einem Unfall glotzte ich automatisch in den Lichtkegel einer Helmlampe, die zeigte, was diesen Ausruf provoziert hatte. Ein Schott war zu sehen, das verschlossen war. An den Rändern zeigten sich große Mengen Blut, und auch auf dem Boden davor war eine große Blutlache und Schleifspuren. Bestenfalls war es ein Kopion, der von irgendetwas erlegt worden war und dann in diese... Höhle? ... gezogen worden sein musste. Schlechterdings war es dann doch ein Mensch und nicht einer dieser Kopione.
Es war ein Horrorfilm, in dem wir uns bewegten. Ich kam mir nicht vor wie ein Protagonist, sondern eher wie ein Opfer. Oder Nahrung.
Stockwerk für Stockwerk bewegten wir uns wieder nach oben, bis wir den Hangar erreichten und endlich, endlich wieder in das Schiff, die „White Rabbit“, gehen konnten. Auf dem Weg in den Hangar fanden wir noch die Leiche eines Menschen in einem Technikeroverall. Das wäre eigentlich keine Erwähnung mehr wert gewesen, wenn nicht der seltsame Zustand der Leiche meine Neugier und meinen Schrecken beflügelt hätte. Dieser Leichnam sah aus wie ausgesaugt. Nur Haut und Knochen. Wirklich: Haut und Knochen! Um den Torso herum, ein intakter Overall. Das ganze Arrangement lag in einer riesigen Blutlache.
Im Schiff glaubte ich, das erste Mal seit Stunden wieder tief Luft holen zu können. Zeros Schiff vermittelte die Sicherheit, die ich in den Katakomben der ASD-Station vollständig vermisst hatte.
Wieder hoch. Mit dem Raumschiff gestartet und schnell in den Orbit geflogen. Das erneut gefundene Datenpaket per Richtfunkstrecke an Hockrow gesendet.
Es fühlte sich an wie ein Fluch. Ich rechnete damit, dass Hockrow wieder nicht zufrieden war mit dem, was wir zutage gefördert hatten. Eine Art perverses „Merry-go-round“, das uns nicht mehr loslassen würde...
Zu meiner Erleichterung ging es jetzt zurück nach Baijini Point. Zurück an diesen Ort, an dem ich permanent damit rechnete, irgendwann verhaftet zu werden, weil die lückenlose Überwachung ArcCorps allgegenwärtig war. Ein Ort, der dennoch ein deutlich größeres Maß an Sicherheit vermittelte als das, was ich gerade eben noch gesehen hatte.
Zero verstand meine Paranoia und führte mich und Pike auf das Cargo Deck. Dort hatten einige Arbeiter einen kleinen Pausenraum eingerichtet, der zwar komplett illegal war, aber sehr gemütlich aussah. Zero meinte, das wäre eine Möglichkeit, um unerkannt auf dieser Station bleiben zu können. Wir könnten hier auch pennen, wenn uns danach wäre. Die Arbeiter des Cargo Decks – davon ging Zero aus – würden den Autoritäten dieser Station nichts von unserer Anwesenheit melden. Sonst wäre ja auch ihr kleiner illegaler Pausenraum aufgeflogen. Endlich ein ruhiger Ort zum Verschnaufen. Tja, da war ich nun: vom Wissenschaftler zu einem im Verborgenen und Dunklen sich aufhaltenden Etwas mutiert...
Aber um noch einen draufzusetzen... Es war Brubackers vollkommen entsetzter Gesichtsausdruck, der diesen Tag endgültig abrundete. Der krönende Abschluss war das, was letztendlich mit Husky passierte. Er hatte sich bei unserem letzten Flug von der ASD-Station in den Orbit innerhalb der „White Rabbit“ zurückgezogen, sich einen Schuss mit teuren, verbotenen Chemikalien gesetzt und sich „ins Land der flachen Dächer geschossen“! Bru hatte ihn gefunden und konnte ihm in letzter Minute noch einen rettenden Medpen in die Brust jagen und ihn somit retten. Husky hatte diesen morbiden Stress in den Tiefen dieses ASD-Labors wohl nicht ausgehalten! Zumindest war Brubacker der Ansicht, dass Husky durch den Einsatz des Medpens vollständig gerettet sei – unabhängig davon, wie seine Gemütslage aussah, die dafür sorgte, dass er sich so der Realität entzog.
Mir fehlten einfach die Worte. Ich hatte jetzt einfach Angst vor morgen.