
Alaska Seadelaere´s Logbuch: Ein unerwartetes Treffen auf GrimHex / Auf zur Hathor-Station / 14.10.2955 SET
Die ganze Nacht war so unruhig wie mein Einschlafen. Erneut standen wir davor, uns einem möglichen Feind zu stellen. Es war schlichtweg notwendig, denn wir hofften, genau hier das Heilmittel für Friedrich und mich zu finden.
Die Angst, erneut in einem Imprint zu enden, machte mich schier verrückt. Mein Schlaf war durchsetzt von den Bildern, die ich bereits von diesem Wurm, diesem seltsamen Ei hatte. Vor allem von jenen Typen, die über Leichenberge stiegen und dabei...
Schweißgebadet schreckte ich aus diesem Albtraum auf. Drei Uhr morgens Stationszeit auf GrimHex. Fantastisch. Ich warf mich noch eine Weile hin und her, fand aber keine Ruhe. „Ich brauche etwas, um runterzukommen“, schoss es mir durch den Kopf. Benommen kleidete ich mich an, schnappte mir mein MobiGlas; ein paar Credits waren ja noch drauf. Ruhelos verließ ich das Habitat und betrat die große Hauptebene der alten Miningstation.
Stationszeit hin oder her – ich glaubte, hier auf GrimHex gäbe es keine Tag- und Nachtrhythmen. Wie auch. Ich setzte mich in die hinterste Ecke der GrimHex-Bar. Zum ersten Mal hatte ich die Muße, mir das Kommen und Gehen in dieser Bar anzusehen. Es war interessant, wie unterschiedlich die Leute auf mich wirkten. Da waren die Klassiker, die man hier sicherlich vermuten würde: abgeranzte Söldnertypen. Aber auch Glücksritter anderer Art. Leute in Miningausrüstung, die wohl aus dem Yela-Belt auf die Station kamen, um ihre Gesteine zu verkaufen oder einfach nur ein paar Rust zu kippen. Dann noch die ganz Verschwiegenen, die sich ähnlich wie ich allein an einen Tisch setzten und die Leute beobachteten. Wer wusste das schon? Ich konnte mir denken, dass der ein oder andere hier wohl auch ein Kopfgeldjäger sein könnte. Aber ich hatte einfach genug von dieser Paranoia. Wenn sie mich erwischen sollten, dann wäre es eben so. Mein Blick schweifte über die Tische. Ich sah mir die Pärchen, die Kumpels und die Einzelgänger an, die scheinbar wie ich keine Ruhe fanden. Ein stetiges, gedämpftes Murmeln erfüllte die Bar – ganz anders als die Lautstärke in den Bars von Lorville. Jeder, der etwas zu erzählen hatte, wollte wohl nur, dass das Gegenüber es verstand. Manchmal hörte ich ein einzelnes Lachen, irgendein zotiger Witz wurde wohl gerissen.
Dann und wann auch erregte Diskussionen, und – wie bitte? Diese Stimme kannte ich doch! Oh, verdammt! Da hinten in der Ecke… Das musste Zwiebus sein! Mit wem unterhielt er sich da so angeregt? Woher sollte ich auch die Leute kennen, mit denen er inzwischen unterwegs war? Ich drückte mich tiefer in den Schatten und versteckte mich hinter meinem Glas. Was sollte ich jetzt tun? Sollte ich mich ihm zu erkennen geben? Da war sie wieder, die Paranoia. Nicht einmal den einzigen Menschen, den ich hier in Stanton wirklich zu kennen glaubte, wagte ich, anzusprechen!
Nervös kramte ich in meiner Hosentasche. Ich musste mich irgendwie beschäftigen. Ich durfte mein Gesicht nicht zeigen. Ein paar Kreditkarten, ein winziger Audio-Notizblock und ein Tablet-Stift förderte ich zutage und drapierte sie auf meinem Tisch. Ängstlich schaute ich aus meinem Schatten heraus und sah, wie Zwiebus sein MobiGlas anwarf…. Genervt stopfte ich den Kram wieder in meine Hosentasche. Nur dieser blöde Stift war irgendwie sperrig. „Kyber Minerals Inc. – Levski“ stand auf dem Stift. Toll! Die werden mir auch noch Stress machen. Aber das ist ja gar nichts im Gegensatz zu dem, was… „Kyber Minerals Inc.?“
In diesem Augenblick sackte mir das Blut in die Füße. Das war die Lösung! So konnte ich Kontakt aufnehmen! Hier auf GrimHex kannten diese Firma nur Zwiebus und ich. Ich musste nur diesen Stift...
Beherzt stand ich auf und mimte den leicht Betrunkenen. „Hey Barkeeper! Hast du da nicht nur Schmolz, sondern auch ein gescheites Rust?“ Langsam torkelte ich Richtung Zwiebus’ Tisch. Ich kam mir unfassbar blöd dabei vor. Mit lautem Scheppern knallte ich mit der Hüfte an den Tisch, verlor etwas theatralisch das Gleichgewicht, und ließ den Stift mitten zwischen Zwiebus und den anderen Typen fallen.
„Geschickt platzierte ich mein Kinn auf seiner Faust“ – dieser Gedanke schoss mir durch den Kopf, als ich jetzt, ohne Theatralik, aber mit viel Pech, mich direkt neben Zwiebus’ Sitz auf die Fresse legte. Benommen rappelte ich mich auf, versuchte mein Gesicht von Zwiebus abzuwenden und murmelte: „Moment. Das verdammte Schmolz! Ich glaube, ich muss jetzt doch ins Bett.“ Zwei helfende Hände packten mich von hinten und stellten mich wieder auf die Füße. Ich hörte Zwiebus hinter mir. „Oh Mann, diese Typen auf GrimHex!“, rief er lachend. „Die sollten mal nach Levski kommen! Da gibt’s wirklich was zu trinken! Geh deiner Wege, Berratna! Und pass auf, wo du hintrittst!“
Super peinliche Vorstellung!
Humpelnd entfernte ich mich vom Tisch, mich am Tresen festhaltend. Unter hämischem Gelächter, das hinter meinem Rücken erschallte, torkelte ich weiter Richtung Ausgang. „Ich muss jetzt ganz schnell hier raus“, dachte ich fieberhaft. Ich verließ die Bar über den Haupteingang und wand mich der Treppe zu, die in die Habs führte. "Hoffentlich findet er den Stift und rafft den Zusammenhang rechtzeitig." Ich setzte mich auf eine dreckige Stuhlreihe neben ein paar Ausrüstungsterminals und hielt mir - natürlich vor Schmerzen - die Hand über die Stirn, so dass mein Gesicht möglichst verdeckt blieb. Den Ausgang der Bar hielt ich fest im Blick.
Tatsächlich! Zwiebus kam nach einigen Augenblicken aus der Bar und ließ seinen Blick über die Etage schweifen. Er suchte irgendetwas oder irgendwen. Der Trick mit dem Stift hatte also funktioniert. Ich stand auf, torkelte etwas gekünstelt Richtung eines teilweise verschütteten Treppenabgangs. Zügig verschwand ich in diesem Gang, hetzte ein paar Stufen abwärts und wartete, vor neugierigen Blicken geschützt, in einer Ecke des Ganges auf Zwiebus.
Es dauerte nicht lange, da erschien Zwiebus am Eingang des Ganges. Er wurde von dem anderen Typen begleitet, der sich jedoch nach einem kurzen Gespräch entfernte. Zwiebus stand jetzt zentral auf der obersten Empore der Treppe und schaute suchend nach unten. Ich trat etwas aus dem Schatten und flüsterte laut: „Hier! Zwiebus! Hier unten…“ Zwiebus kam vorsichtig drei, vier Stufen herunter und stoppte. „Was für eine Scheißnummer läuft hier gerade?“, zischte er. „Zeig dich, Arschloch!“ Ich nahm meinen Mut zusammen, trat vollends ins Licht und rief mit normaler Lautstärke: „Hier ist Alaska! Ich brauche deine Hilfe! Aber ich darf nicht entdeckt werden!“ „Geht’s noch lauter, du dämlicher Trottel?“, stieß Zwiebus hervor. Der Mann von Levski kam jetzt die Treppe herunter gestiefelt. Wir fielen uns in die Arme. „Du dämlicher Spinner! Schmetterlingsfänger!“, stieß er hervor. „Jetzt bist du also ein Dangerseeker? Ein paar Wochen Pyro und du hast sofort die Scheiße am Hacken! Alaska, wie er leibt und lebt! Bist du etwa der Laborarbeit endgültig überdrüssig geworden? Du hast doch geschworen, niemals auf diese Raumstation zu kommen.“ Ich versuchte, meine Worte leise mit Nachdruck rüberzubringen: „Ja, hab ich! Darum geht es jetzt aber ernsthaft nicht. Nicht lustig jetzt! Ich… wir brauchen verdammt noch mal deine Hilfe!“
„Letztes Hab, erster Stock…“, gab Zwiebus mir wieder flüsternd zu verstehen. „Warte ein paar Minuten, erst dann folgst du mir!“
Ich wartete ein paar Minuten, dann folgte ich ihm. Die Habs auf GrimHex sind wie in Pyro: ein seltsamer Ort. Häufig liegen Drogenabhängige oder Leute, die sich einfach kein Hab leisten konnten - mit Glück in Schlafsäcken - in den Fluren. Vielleicht hatte Zwiebus diesen Ort deswegen gewählt, weil er scheinbar eine ganz gute Tarnung bot.
„Was ist los, Alaska?“ Zwiebus’ Stirn legte sich in Falten. „Ich kann es dir einfach nicht genau erklären“, sagte ich. „Es ist… es ist wahnsinnig gefährlich! Die Sache, in die ich da reingeraten bin, übersteigt alles, was ich mir in meinen kühnsten Träumen hätte vorstellen können!“ Zwiebus grunzte nur und signalisierte mir, ich solle weiterreden. Also erzählte ich ihm die ganze Geschichte, seitdem wir uns zum letzten Mal in Pyro gesehen hatten: die ganze Geschichte mit der Lament, die ganze Geschichte mit der ASD, die halbe Geschichte von Enos und das fatale Ende im Lazarus-Komplex. „Zwiebus, hast du eigentlich schon mal imprinted?“, rutschte es mir heraus. „So etwas will ich nie, nie wieder erleben müssen!“ Zwiebus’ Gesichtsausdruck wurde ziemlich ernst. Er verneinte. „Ihr sitzt jetzt hier auf GrimHex fest, richtig?“ Ich berichtete ihm von unserer Einschätzung, dass die ASD uns bis nach Stanton jagen würde, dass sie womöglich Kopfgeldjäger auf uns angesetzt hätten und dass wir ziemlich sicher waren, das auch die Advocacy damit drin hängen würde.
„Das Wichtigste ist“, fuhr ich fort, „dass wir dieses Heilmittel 'W23' im Hathor-Komplex finden müssen! Die Erkrankung, die bei Friedrich schon viel fortgeschrittener ist als bei mir, wird sonst unweigerlich im Tod enden. Wir brauchen dafür ein Raumschiff! Wir müssen am besten noch heute dahin!“ „Sachte! Ruhig, Brauner!“, Zwiebus hatte einfach ein Faible für blöde Witze. Er machte eine Pause. „Ich kann dir ein Schiff besorgen. Auf Arccorp liegt doch dein eigenes Schiff, die ´Jules Verne´. Ich habe ja über deine Wissenschaftsorganisation auch Zugriff darauf. Die kann ich dir besorgen. Dauert aber zumindest bis morgen früh Stationszeit.“ „Die ´Jules Verne´! Das ist ja wunderbar! Meine gute alte ´Jules´!" Ich freute mich auf dieses Schiff. "Ja, mach das so!“, antwortete ich erleichtert. Zwiebus raunte: „Ich werde das Schiff allerdings nicht hier in einem der Hangars parken können. Ich muss es auf ein Pad stellen. Ihr geht morgens früh raus, gleich bei der Metzger... Klinik links ab. Ihr kommt aufs Landepad, entert das Schiff und fliegt los. Es wird alles startklar sein.“ Ich dankte Zwiebus mehr als einmal, froh, ihn endlich wieder getroffen zu haben. Doch wissend, dass ich, solange wir von der ´Gruppe Winters´ unterm Radar bleiben mussten, wohl keinen längeren Kontakt mit ihm haben würde. Wir verabschiedeten uns kurz. Zwiebus verschwand in seinem Hab – es war tatsächlich sein eigenes, vor dem wir gesessen hatten. Ich machte mich etwas später auf den Weg und ging in den Wettbereich, um mir noch ein Getränk zu holen, damit ich anschließend endlich etwas ruhiger schlafen konnte.
Am nächsten Morgen warf ich mich in meinen Mantel, zog mir die Mütze über die Ohren und machte mich auf den Weg in den Wettbereich der GrimHex-Station. Pike und Brubacker waren wie verabredet schon auf der Empore, die den fantastischen Ausblick in den Asteroidengürtel um GrimHex bot. Brubacker konnte es wohl nicht lassen und stand schon wieder voll ausgerüstet in seinem Raumanzug mit Gesichtsmaske in diesem Freizeitbereich. Die beiden machten sich Gedanken, wie es wohl weitergehen sollte. Auch Friedrich kam jetzt dazu, maskiert mit einer Kapuze und Sonnenbrille. Wir waren auf GrimHex gestrandet, unter üblem Handlungsdruck, ohne Raumschiff. Da Zero sich für kurze Zeit in die Wüste verabschiedet hatte, hatten wir kein Schiff. Obwohl verabredet, tauchte er heute auch nicht auf; er hatte noch Dinge bei irgendeiner Agentur zu recherchieren. Brubacker und Pike redeten sich etwas in Rage. „Ähm! Ja… also…“, versuchte ich, in das Gespräch einzubrechen. „Ich konnte heute Nacht ja auch nicht gut schlafen, ähnlich wie ihr. Da bin ich über die Station gelaufen und habe tatsächlich Zwiebus getroffen... Ja, bevor ihr losmotzt, das lief alles ganz piano ab. Ich habe ihn, glaube ich, ganz geschickt ansprechen können, ohne dass die anderen in der Bar etwas bemerkt haben. Ich mache es kurz: Zwiebus kann uns ein Raumschiff organisieren – und zwar noch heute!“ Falls Brubacker, Friedrich oder Pike große Augen gemacht hätten, hätte ich es wegen Raumhelm und Sonnenbrillen nicht sehen können. Die drei sagten nichts. „Also, ich bin sicher, es hat uns keiner gesehen“, versuchte ich, die Situation zu entschärfen. „Er hat die ´Jules Verne´, also meine ´Jules Verne´... Das ist eine Star Runner… Die hat er… die kann er in Arccorp loslösen. Sie steht in meinem Hangar auf Area 18. Er hat über die SCIUN Zugriff auf das Schiff.“ Ich erklärte den beiden den Hergang des gestrigen Abends. Wir hatten also Glück. Zwiebus versprach, das Schiff aufs Landepad zu stellen und wir könnten quasi gleich schon rein.
Bru hatte seinen Raumanzug ja schon an. Pike, Friedrich und ich machten uns auf den Weg zu den Ausrüstungsterminals. Minuten später saßen wir in der Star Runner. Ein Strahlen ging über mein Gesicht, als ich das Schiff betrat. Ich hatte es schon sehr, sehr lange nicht mehr gesehen. Die Standzeit auf A18 hatte dem Schiff auf jeden Fall nicht geschadet. Die `Jules Verne II´, um es genau zu sagen, stand auf diesem GrimHex-Landepad wie aus dem Ei gepellt. „Es wird ein Genuss sein, in den Pilotensessel zu steigen und mit diesem herrlichen Schiff schnurstracks nach Daymar aufzubrechen!“
Ich freute mir offensichtlich einen Flecken in die Hose.
Es war recht schwierig, einen Landeplatz in der Nähe der Hathor-Station zu finden, der nicht von der Station aus eingesehen werden konnte. Nach einigem Hin und Her fanden wir dann doch ein plateauähnliches Gelände, wo ich die ´Jules´ parken konnte. „Habt ihr alles dabei?“, fragte Brubacker ungeduldig in die Runde schauend. „Wir haben noch ein Tänzchen zu tanzen heute!“ Ich überprüfte meine Ausrüstung: Medpens, Oxypens, CruzLux, Waffen, Munition – alles am Mann! Die anderen checkten ebenso ihre Sachen. Dann verließen wir das Schiff.
Wir mussten über eine kleine Anhöhe klettern, um die Hathor-Station sehen zu können. Es war Abend. Von der Station waren fast nur noch Lichter und die Silhouetten der Gebäude zu erkennen. Langsam und geduckt – Lyrana hatte uns ja einiges beigebracht, was das Bewegen im Gelände anging – näherten wir uns dem Gebäudekomplex. Ich hatte unweigerlich Flashbacks von der Station auf Pyro IV. Mein Puls beschleunigte sich und ich musste mir leise Kinderreime aufsagen, um wieder runterzukommen. Pike war jetzt der geschickteste von uns, wenn es um solche Infiltrationen ging. Er ging voran und führte uns durch kleine, ausgetrocknete Bachläufe und hinter Felsen versteckt an die Station heran. „Da sind auf jeden Fall Wachen“, murmelte er und wies uns an, die Köpfe unten zu halten. Noch auf dem Kamm, in sicherer Entfernung zur Station, konnten wir Mündungsfeuer erkennen. Es schien aber nicht auf uns gerichtet zu sein. Außerdem fühlte es sich so an, als hätten wir es mit gelangweilten Wachen zu tun. Ergo näherten wir uns von der anderen Seite der Station.
Leise und mit inzwischen geübten Schritten infiltrierten wir das Gelände, immer in großem Abstand zu gesichteten Wachen, jeder Konfrontation aus dem Weg gehend.
Pike entdeckte als Erster eine Art stillgelegten Hangar oder eine Garage. Wir schlichen hinein. Wir durchsuchten Quadratmeter für Quadratmeter den ganzen Hangar. In diversen Kisten fanden wir Kleinigkeiten, die wir teilweise an uns nahmen oder einfach wieder wegwarfen. Merkwürdigerweise lagen um die leeren Container und Maschinenblöcke einige Feuerwaffen am Boden. Es musste also kurz zuvor eine Auseinandersetzung gegeben haben. Wir waren auf der Hut. „Da ist einer! Den kann ich ja mal interviewen“, sagte Friedrich, als er sich einer in der Ecke kauernden, fast nackten Person näherte. Sie gehörte wohl zur Station, aber nicht zum Wachpersonal. Eine kurze, energische Befragung später machte Friedrich sich weiter auf die Suche. Wir haben dem Kerl nichts getan, außer ihn zu erschrecken. Es gab eine Art Käfig, der aus Gerüsten gebaut wurde. Dieser Bereich war tatsächlich mit lasergesteuerten Sprengfallen gesichert. Wir entschärften zwei von diesen Sprengfallen auf die „rustikale Art“ und machten richtig Tempo bei der weiteren Durchsuchung. Bru hatte einen Zugangskartendrucker entdeckt, den er gleich anwarf, um sich eine Zugangskarte zu was auch immer auszudrucken. „Endlich! Ich glaube, ich habe einen Treffer gelandet!“, rief Friedrich. Triumphierend hielt er drei Injektions-Pens hoch, auf denen das Kürzel „W23(K6)“ zu lesen war. Gut. Wir schienen auf der richtigen Fährte zu sein.
Wir durchstöberten alles, was sich irgendwie öffnen ließ. So lange, bis jemand rief: „Achtung! Da kommt ein Jäger! Verflucht! Er hat unseren Landeplatz gefunden!“ Entsetzt blickte ich in die gezeigte Richtung. Es war eine Arrow. Vermutlich gehörte sie zur Luftraumüberwachung dieser Station. Der Pilot des Jägers eröffnete das Feuer auf die ´Jules Verne´. Ich war völlig entgeistert. Hier stand ich nun, bis an die Zähne bewaffnet, und konnte nur zusehen – so lange, bis ein lauter Knall die Stille der Wüste zerriss. „Das war’s! Jetzt sitzen wir hier erst mal fest!“, knurrte Pike, während er sein Magazin überprüfte. „Wir müssen weiter suchen“, sagte Friedrich. „Wir brauchen noch mehr von diesen Injektions-Pens. Sonst reicht die Medizin nur für einen von uns.“
Es war wirklich ein kurzes Vergnügen, mit meinem Schiff zu fliegen. Aber es wunderte mich schon gar nicht mehr, dass, seitdem ich in dieser Geschichte verwickelt war, permanent Schiffe verloren gingen. Um ehrlich zu sein: Menschen auch.
Wir suchten weiter und fanden einen weiteren Lagerraum. Glücklicherweise waren die anderen konzentrierter bei der Sache als ich. Ich musste den Verlust meines Schiffes tatsächlich ein wenig beweinen. Ich weiß nicht, wer es war, aber ich hörte irgendwann den erleichterten Ruf: „Hier! Ich habe noch mehr gefunden! Jetzt haben wir genug!“ „Super, so ein Ziel zu erreichen, um dann direkt auf der Zielgeraden zu verrecken“, schoss mir dieser destruktive Gedanke durch den Kopf. Pike gab wieder taktische Zeichen: Wir sollten ihm folgen. Er hatte wohl inzwischen auch bewaffnete Wachen entdeckt, die auf dem Weg zu uns waren.
Wie die Wahnsinnigen rannten wir mit unserer Beute aus der Station und einen sandigen Hang hinauf. Was wir da oben wollten, war mir eigentlich nicht klar. Die schöne Aussicht genießen? Wir kämen doch sowieso nicht mehr hier weg. Dennoch lief ich mit. Friedrich, der deutlich schlechter aussah als ich, gab Gas, als wäre es das letzte Mal gewesen. Mir ging die Puste aus, obwohl die Sauerstoffvorräte meines Morozovs noch mehr als ausreichend waren. Schließlich kamen wir auf dem Plateau an, von wo aus wir einen herrlichen Blick über die Station und die sandigen Berge dieses wirklich schönen Wüstenmondes hatten. Pause! Ausruhen! Schwer atmend setzte ich mich an einen Felsen: „Leute, ich kann nicht mehr. Ich bin völlig am Ende!“ Pike und Bru waren schon weiter gelaufen. Friedrich war noch bei mir, aber er stand.
Ich legte mich auf den Rücken und sah in den Himmel Daymars. Die aufgehende Sonne war einfach wunderschön. Friedrich stand neben mir und verstummte plötzlich. Wie versteinert stand er da, ließ sich durch meine Fragen überhaupt nicht aus der Ruhe bringen. „Fiete, was ist los? Warum sprichst du nicht?“, fragte ich. Er machte keinerlei Anstalten, mir zu antworten, starrte einfach vollkommen unbewegt die Berge an.
Ich weiß nicht, ob Pike und Bru zu uns zurückkamen oder ob sie sich von uns entfernten. Mir war inzwischen schwindelig und mir wurde schwarz vor Augen. Jetzt hatte mich das grüne Fieber auch so richtig zu Boden gerissen. Unvermittelt kam plötzlich wieder Leben in den Raumanzug, in dem Friedrich steckte. „Vielleicht kommen wir hier doch weg“, sagte er. „Ich habe Kontakt zu einer Gruppe, die uns retten kann.“ Ungläubig starrte ich diese plötzlich wieder sprechende Statue an. „Was? Wer soll das denn sein?“, fragte ich. Friedrich blieb mir die Antwort wieder schuldig. Dieses merkwürdige, reglose "In die Gegend Starren" ging wieder los. Pike und Brubacker waren inzwischen einfach zu weit weg. Sie waren auf dem Weg zum Wrack meiner heißgeliebten ´Jules Verne´, wohlwissend, dass auch sie dort nur Trümmer finden würden.
Langsam änderte sich die Geräuschkulisse. Das Brummen und Fauchen von Triebwerken wurde langsam hörbar und dann ohrenbetäubend laut. Eine Hornet und eine Mantis schossen über unsere Köpfe hinweg. „Waren das die Leute, von denen Friedrich gerade gesprochen hatte?“, fragte ich mich. Mir blieb das Herz stehen, als ich sah, was da auf uns zukam und zur Landung ansetzte: Ein riesiges Kriegsschiff. Eine Polaris. „Was kennst Du eigentlich für Leute?“, stieß ich hervor.
Ich wollte mich gerade in Bewegung setzen, da feuerte ein Geschützturm der Polaris auf ein anderes Schiff, das sich uns näherte. Jetzt verließen mich wirklich alle Kräfte. Was ich da sah, konnte ich nicht glauben. Ich war… ich bin mir immer noch sicher, dass das anfliegende Schiff die ´Anthony Tanaka´ war. Kein Zweifel! Es konnte nur Zwiebus sein. Hatte ich ihm bei unserem Gespräch doch erzählt, wohin wir wollten? Die Polaris feuerte ununterbrochen auf die Asgard. Ich konnte genau sehen, wie die Treffer den Schirm durchdrangen und eine Triebwerksgondel in Brand setzten. Die Asgard gab mit den verbliebenen Triebwerken ordentlich Schub und versuchte, aus der Gefahrenzone zu kommen. Doch so eine Polaris hat sehr weitreichende Geschütze. Mitten in diesem Gewusel kreuzte dann noch mal die Arrow auf, die meine ´Jules Verne´ gesprengt hatte. Sie verging augenblicklich in dem Feuerhagel, den die Polaris entfesselte. Ich war wie benommen und wankte automatisch hinter Friedrich her. Er hatte die ´Slaps´ gerufen. Diese Leute, die uns auf Pyro I schon den Rücken freigehalten hatten – bis alles im Desaster endete.
Gute Leute also!
Doch warum um Himmels willen eröffneten sie das Feuer auf meinen Freund? Es war mal wieder so weit: Meine Gedanken kreisten und kreisten um mich selbst und um das, was mir widerfuhr. Wie in Trance ging ich die riesige Gangway in die Polaris hoch. Drinnen waren mir völlig unbekannte Leute in Kampfanzügen, die uns sehr koordiniert an Bord nahmen. Pike und Bru waren noch beim Wrack der ´Jules Verne´. Ich hörte im Helmfunk nur, dass Bru die Luft ausging. Es war wohl wirklich fünf vor zwölf. Bru rief nicht, er schrie um Hilfe! Die Polaris setzte einen Rettungsrover ab, der sich sofort in Richtung von Pike und Brubacker davonmachte. Wie im Film sah ich die Szenen in dem Hangar dieses riesigen Schiffs. Ein Typ namens ´Ace´ begrüßte uns. Ein klug dreinschauender Mann mittleren Alters in Battle-Med-Rüstung wurde mir als ´Dr. Grünwald´ vorgestellt. Bei ihm sollte ich mich untersuchen lassen, und zwar möglichst schnell. Wie in Trance trottete ich hinter diesem vermeintlichen Arzt her. Vor meinen Augen immer noch die Bilder, wie die Energiestrahlen der Polaris die Triebwerksgondel der ´Anthony Tanaka´ in Brand setzten. Bru und Pike kamen inzwischen auch an und verließen den Rover. Auch sie wurden angewiesen, dem Personal in die Medabteilung zu folgen. Ich legte mich auf dieses hochmoderne Medbett, das einer Apollo wohl alle Ehre gemacht hätte. Kein Vergleich zu dem Vorkriegsmodell, auf dem ich in Pyro meine zweite Geburt erlebte.
Ich sah alles nur durch einen Schleier. Im Hintergrund hörte ich Bru, wie er sich wahnsinnig freute, gerettet worden zu sein. Er schien dem Tod nur sehr knapp entronnen. Das kam bei mir alles gar nicht richtig an. Mir wurde es immer klarer: Ich hatte wohl versehentlich bei unserem Gespräch Zwiebus doch erzählt, wohin wir wollten, und er hatte es sich nicht nehmen lassen, zu uns zu stoßen. Das wurde möglicherweise jetzt sein Verhängnis. Ausgerechnet Friedrichs Freunde waren dafür verantwortlich, dass die ´Tanaka´ abgeschossen wurde. Warum in Herrgotts Namen muss denn immer und auf alles sofort geschossen werden?
Wortlos setzte ich mich an einen Tisch, der mir in der Hauptkantine des Schiffes zugewiesen wurde. Ich war immer noch nicht wirklich bei mir. In dem ganzen freudigen Gerede, dem herzlichen Grüßen, den ungläubigen Fragen, wie und warum wir denn jetzt hierher gekommen waren, kam ich mit meiner Frage, warum nun auf meinen Freund geschossen worden war, überhaupt nicht durch. Nachdem sich die Wogen etwas glätteten und Ruhe einkehrte, konnte ich endlich fragen, ob sie wüssten, wen sie denn da abgeschossen hatten. „Die Asgard meines Freundes hat doch sicherlich einen Erkennungscode gesendet?“, klammerte ich mich an diese Frage. ´Ace´, der nicht der Captain des Schiffs war, aber wohl eine verantwortliche Position innehatte, antwortete nur lapidar: „Die Asgard war rot getaggt. Die automatische Verteidigung des Schiffes hat reagiert und den rot getaggten Eindringling bekämpft. Genau das, was sie machen soll.“ „Ich will doch nur wissen, ob die Asgard eine Kennung rausgeschickt hat, bevor sie abgeschossen wurde! Mehr will ich doch gar nicht wissen! Kannst du mir das nicht mal sagen?“, die schiere Verzweiflung kam in mir hoch. „Nein“, antwortete ´Ace´, nachdem er längere Zeit in sein MobiGlas geschaut hatte. „Keine Kennung. Das Schiff war einfach nur rot getaggt. Mehr kann ich dir nicht sagen.“ Damit ließ er mich zurück. Wir wurden noch einigen medizinischen Checks unterzogen und unvermittelt auf GrimHex wieder abgesetzt. Ich kann mich gar nicht daran erinnern. Wir sind in den EVA gegangen und plötzlich waren wir auf der Station – wie rübergebeamt. Meine Verzweiflung sorgte wohl dafür, dass ich Teile dessen, was mich umgab, gar nicht mehr wahrnahm.
Die ´Slaps´ machten die Station GrimHex noch einmal kurz unsicher und verabschiedeten sich. Dann waren wir wieder allein, glücklich im Besitz der Medikamente, die Friedrich und mir das Weiterleben ermöglichen sollten.
Und ich? Ratlos.
Auch wenn ich die anderen damit nervte, musste ich doch immer wieder das Gespräch auf Zwiebus bringen. Wir Wahnsinnigen entschlossen uns dann, noch ein zweites Mal nach Hathor zu fliegen. Brubacker hatte seine Gründe, und ich hoffte, dort Unterlagen der Luftraumüberwachung zu finden. Irgendetwas musste ich in den Händen halten können, das mir sagte, dass es nicht Zwiebus war, der in dieser Asgard gesessen hatte.
Wir gingen zu Bett. Wie die Tage zuvor.
An Schlaf wagte ich überhaupt nicht zu denken…