
Alaska_Seadeleare´s Logbuch: Stanton / Crusader / Yela / GrimHex / 07.10.2955 SET
Meine erste Nacht in Stanton.
Donnerwetter, wie gut ich geschlafen hatte! Es war zwar GrimHex und keine UEE-RestStop-Anlage, doch es war um ein Vielfaches heimischer hier, als in den Raumstationen Pyros, die mehr an Ruinen erinnerten als an Wohnstätten. Ein erster Morgen ohne Kopfschmerzen.
Wider Erwarten quietschte das Schott meines Habs beim Öffnen. Doch das sollte meine Freude, endlich wieder in halbwegs zivilisierten Gegenden zu sein, nicht trüben. Ich meinte mich zu erinnern, dass wir uns auf der Plattform im Wettbereich von GrimHex treffen wollten. Also machte ich mich auf den Weg. Das Gefühl, ausgerechnet auf dieser Raumstation, auf der sogar einer meiner Freunde wohnte, unerkannt bleiben zu müssen, nagte an mir. Unerkannt bleiben war oberste Prämisse!
Bei den Typen von ASD rechneten wir auf jeden Fall mit dem Schlimmsten! Mir war klar, dass die Advocacy der UEE bereits eine Fahndungsmeldung der ASD vorliegen hatte. Ebenso war damit zu rechnen, dass uns private Kopfgeldjäger auf den Fersen waren. GrimHex als Zufluchtsort zu wählen, mochte in diesem Zusammenhang als ziemlich naiv gelten. Doch war ja bekannt, dass die einzelnen Gangs in Stanton in Konkurrenz zueinander standen. In diesem Konfliktfeld schien es uns möglich, unterzutauchen.
Da ich nicht im Raumanzug herumlaufen wollte, mit dem ich GrimHex betreten hatte, machte ich mich auf den Weg zur Hauptebene, um dort nach Zivilkleidung Ausschau zu halten. Ich hatte ja noch etwas Geld. Heraus kam ich ganz normal: Arbeiterhose, Mantel und meine obligatorische Mütze. Tief ins Gesicht gezogen, der Kragen hochgeschlagen – so sollte ich zumindest vor den ersten neugierigen Blicken geschützt sein.
Ich traf Pike und Brubacker auf der verabredeten Empore im Wettbereich von GrimHex. Als ich Brubacker sah, musste ich unweigerlich grinsen! Er hatte wohl die gleichen Gedanken wie ich, aber eine etwas andere Lösung gefunden. Im Gegensatz zu Pike und mir, die wir in Zivilkleidung möglichst unauffällig wirken wollten, hatte er sich in einen leichten Kampfanzug mit vollkommen blickdichter Maske gezwängt. Eindeutig! So war Bru nicht zu erkennen.
Auffällig wirkte er jedoch wie ein bunter Hund zwischen den Zivilisten. „Ich glaube, in der Stadt macht es keinen Sinn, Camouflage zu tragen“, murmelte ich amüsiert. „Aber egal.“
So weit war es mit mir schon gekommen: Das erste, was ich tat, war, mir ein Schmolz zu schnappen! Am frühen Morgen! Doch zumindest war dies auch eine super Tarnung, um nicht als Alaska Seadeleare, der Wissenschaftler, erkannt zu werden.
Friedrich war nirgendwo zu sehen. Ich rief beiden zu: „Was ist los mit ihm? Was ist mit Fiete?“
„Ich vermute, er ist krank. Das grüne Fieber hat ihn wohl endgültig flachgelegt“, kam die Antwort.
„Ja, sicher! Das grüne Fieber“, dachte ich. Mich hatte es auch erwischt. Ich fühlte mich auch matt und schlapp, aber irgendwie schien es mir besser zu gehen als Friedrich.
„Meint ihr nicht, wir sollten ihn mal aufsuchen?“, fragte Pike, während er gerade sein Rust absetzte. „Geht es ihm wirklich so schlecht, dass er seinen Hab nicht verlassen kann?“
Eine Antwort wartete er gar nicht erst ab. Wir setzten uns in Bewegung, um zu den Habs zu gelangen. Paranoia hin oder her, auch ich begann nun, mich möglichst in Wandnähe aufzuhalten und in den Schatten zu gehen. Niemals mitten auf den Flur ins Licht stellen! Irgendwie wirkte aber selbst dieses Verhalten auf mich auffällig, wenn man bedachte, dass achtzig Prozent der Leute hier auf GrimHex etwas zu verbergen hatten. Die meisten bewegten sich, als würden sie über den Area 18 Zentralplatz schlendern, um sich ein Eis zu holen. „Wir mussten doch irgendwie natürlicher wirken...“
In den Habs angekommen, klopfte Brubacker an Friedrichs Schott. Keine Antwort. Er klopfte lauter. Nichts war zu hören. Pike drängelte sich vor und presste sein Ohr an das Schott.
Dann flüsterte er: „Doch da ist er drin! Ich höre ihn schnarchen. Der pennt tief und fest.“
Auf Pikes Gesicht spiegelte sich die Erleichterung, zu wissen, dass Friedrich da war. Er sagte leise: „Ihn zu wecken wäre jetzt nicht die richtige Idee. Ich weiß, wie er das letzte Mal schon schwankte – das war noch in Pyro. Ich denke, es hat ihn schon heftiger erwischt als Alaska. Sterogen und Dextramin hatte er sich sicherlich schon verabreicht. Und jetzt einfach schlafen – ich kann mir gut vorstellen, dass das genau das Richtige ist für ihn.“
Wir zogen wieder ab. Da fragte Bru: „Ihr beiden seid das erste Mal hier, stimmt’s?“
Ich blickte selbst etwas unglücklich drein, als ich diese Worte sprach. „Ich habe in meinem Leben noch keinen Fuß auf diese Station gesetzt. Ich habe mir immer geschworen, solche Orte zu meiden. Was soll ich sagen, ich bin Wissenschaftler! Der Ort, an dem ich mich aufhalte, ist mein Labor. Bestenfalls habe ich mich mal in die etwas verruchteren Seitenstraßen in ArcCorp verirrt. Aber GrimHex? Auf keinen Fall!“
"Nee. Ich bin ohne Umwege nach Pyro. Hier war ich noch nie." Pike warf Bru einen vielsagenden Blick zu.
"Fehlt da nicht noch was?", drängte sich mir eine Frage auf.
„Aber was soll’s“, knurrte ich. „Erstens kommt es anders, und zweitens, als man denkt! Jetzt sind wir hier, wir sind Gejagte, wir müssen uns verstecken – also passen wir sehr gut nach GrimHex.“
Bru ließ die ganze Zeit seinen Helm auf. „Kommt, ich zeige euch die Station. Wenn ihr noch nie hier wart, gibt es das ein oder andere Interessante zu sehen.“ Er ging vor, und in etwas gelösterer Atmosphäre folgten wir ihm.
GrimHex war, ähnlich wie die Hinterlassenschaften in Pyro, wohl eine alte Mining-Station, die irgendwann nicht mehr profitabel war. „Green Imperial“ hieß das Unternehmen, das diesen Laden wohl einst gegründet hatte. Und wie es bei Heuschrecken normal ist: Ist das Feld leer gefressen, ziehen sie einfach weiter und hinterlassen nichts als Verwüstung. So verfiel auch irgendwann diese Station. Ich glaubte, es war so: Zu dem Zeitpunkt, als die Mega-Corps Stanton übernahmen, bot sich GrimHex den Halbseidenen und Zwielichtigen als Zufluchtsort an. Die Station wurde von Gangs übernommen, unter denen sich die „Nine-Tales“ dann irgendwann durchsetzten und alleinige Herrscher dieser Station wurden.
Nun war GrimHex ein Ort, der dem UEE zwar bekannt war, gegen den das UEE aber nichts unternahm. „Richtig verstehen tue ich das nicht“, dachte ich. Brubacker war der Ansicht, dass die UEE froh sei, wenn es einen Ort gäbe, an dem sie die meisten Kriminellen vermuten und unter Beobachtung halten konnte. Klang auch irgendwo schlau, es so zu machen und den Laden nicht hochzunehmen. Auf die Spitze getrieben wurde diese Erkenntnis noch durch die Tatsache, dass es sogar Terminals der Advocacy auf GrimHex gab. Ich musste erneut grinsen und in mich hinein lachen: „Da können dann die Mörder und Vergewaltiger ihre Parkgebühren bezahlen – oder was?“
Weder Pike noch Brubacker gaben mir darauf eine Antwort. Die Frage war aber auch, ehrlich gesagt, zu blöd.
Mir persönlich ging es zwar einigermaßen, doch da wir über den Zustand von Friedrich einfach nicht genau Bescheid wussten, war völlig klar, dass unser nächster Schritt die Beschaffung dieses Heilmittels sein musste. GrimHex lag ja in der Umlaufbahn von Yela, und Daymar, der Ort, an dem das Schiff dieser Wissenschaftlerin abgestürzt war, befand sich quasi in der Nachbarschaft.
Wir waren schon drauf und dran, ohne Friedrich loszulegen. Dummerweise fiel uns dann doch rechtzeitig ein, dass wir eigentlich gar kein Schiff auf dieser Station hatten. Die Pisces, mit der wir Pyro verlassen hatten, wurde ja von uns gesprengt, um keine Spuren zu hinterlassen. Aber Bru hatte schon vorgesorgt. „Keine Ahnung, wo er diesen Typen wieder hergeholt hat“, dachte ich. Aber Bru hatte natürlich Kontakte, wie ich schon vermutet hatte. Also zauberte er eine Figur aus dem Hut, die sein Schiff, die „Shack One“, von Pyro nach Stanton überführte – und selbstverständlich keine Fragen stellte.
Ich schluckte und platzte heraus: „Bru, wo hast du diesen Typen denn schon wieder her? Ich vertraue dir ja, doch manchmal wundert mich das wirklich. Ich traue mich nicht mal, Zwiebus zu kontaktieren, weil ich einfach nicht weiß, welche Querverbindungen er inzwischen hat. Und du heuerst einfach einen Typen an, der dir ein komplettes Raumschiff von einem Sonnensystem ins nächste transferiert – an den Kontrollpunkten der UEE vorbei!“
Aber gut, Bru wollte ja genauso wenig gefasst werden wie ich. Und er würde wohl wissen, was er tat. Pike unterbrach mich: „Die Shack One ist ein gutes Schiff. Damit können wir auf jeden Fall nach Daymar fliegen und Harthor einen Besuch abstatten. Und ja, ich vertraue Bru! Alaska, lass es jetzt gut sein!“
Ich hielt jetzt einfach mal den Mund. War wohl besser so.
Brubacker zeigte uns irgendwann in der Nähe der Wettbüros einen Ausrüstungsladen, der hinter einer schmucklosen Stahltür verborgen lag. Dort gab es alles, was das Gangster-Herz begehrte – angefangen von Knarren über schützende Raumanzüge bis hin zu hygienisch zwar einwandfreien, aber vollkommen geschmacklosen Proteinwürfeln.
Mir schwante Fürchterliches, wenn ich an unseren Trip nach Harthor dachte. Da war es wieder, dieses Bedürfnis, genug dabeizuhaben, wenn man sich auf ein neues Abenteuer einließ. Ich kaufte mir einen neuen Helm und einen neuen Brustpanzer. Pike empfahl mir eine Maschinenpistole. C54 oder so, hieß das Ding. Auf jeden Fall gab es hier genug Munition für das Teil und ein paar Anbauteile, die Pike mir aussuchte.
Wir trafen uns in meinem großen Hangar, um die Sachen anzuprobieren und die angeschraubten Ausrüstungsteile an unseren Waffen zu testen. Da stand ich wieder im Kampfanzug! Alaska mit einer Maschinenpistole in den Fingern. Was für ein Scheiß-Bild! Aber mein Leben als Wissenschaftler war im Moment vollkommen unmöglich. Hyperion zu kontaktieren, grenzte an geplanten Selbstmord. Es gab einfach keine sichere Funkstrecke von GrimHex nach ArcCorp.
Eine Offenbarung
Eine Sache verschlägt mir dann tatsächlich noch vollkommen die Sprache: Pike ist auch auf der Suche nach Ausrüstungsteilen und lässt sich mit dem Frachtaufzug meines Hangars eine seiner Ausrüstungskisten liefern. Geheimnisvoll grinst er und sagt: „Alaska, warte mal einen Moment. Ich gehe mal kurz an meine Kiste und komme dann wieder.“
Er lässt mich rätselnd zurück. Lachend öffnet er seine kleine Kiste und zieht einen schweren Kampfanzug heraus. Als er damit angekleidet wieder auf mich zukommt, denke ich, ich falle in Ohnmacht. Vor mir steht ein voll ausgerüsteter Riot-Polizist der Hurston-Security.
Ich fasse mich an die Stirn: „Wo, bitte, hast du das denn her? Hast du das irgend einem Bullen gezockt oder was? Diese Hurston-Security-Leute sind nun wirklich nicht die Art von Polizei, mit der man gerne verhandelt!“
Pikes Mund verzieht sich zu einem schmalen Strich. Er sagt: „Nein, ganz so war es nicht. Ich war mal einer von denen! Im Ernst: Vom Saulus zum Paulus, quasi. Ich bin Ex-Bulle! Ja, Ex-Bulle von der schlimmsten privaten Polizeitruppe, die es in diesem System gibt.“
Es war weit und breit keine Kiste zu sehen, auf die ich mich hätte setzen können. Doch mir war danach. Bru hatte immer noch seine Maske auf, sonst hätte ich ihn, glaube ich, grinsen gesehen. Wie sich herausstellte, wusste er schon länger von Pikes Vergangenheit. Die beiden waren wohl noch in Pyro auf einem gemeinsamen Drogentrip gewesen. Da hatte Pike ihm seine Vergangenheit gebeichtet.
„Okay, Pike! Ist ja okay. Warst halt einfach Mitglied in der korruptesten Polizeitruppe, die mir jemals in meinem ganzen Leben begegnet ist. Kein Ding!“, sagte ich. Ich wusste nicht, ob ich jetzt lachen oder weinen sollte.
„Jetzt erzähl! Wie kam es dazu, dass du in Pyro festgesessen bist, als wir dich kennengelernt haben?“
Pike gab einen kurzen Abriss seiner Vergangenheit zum Besten. Er war, und das konnte ich ihm wirklich glauben, von Gewissensbissen geplagt. Er hatte den Auftrag, in irgendeiner, wie er es nannte, „Specialobservation“ die Arbeitersklaven der Familie Hurston zu infiltrieren und sie auszuspähen. Es ging wohl um das Verhindern von gewerkschaftlichen Bestrebungen. Er hat dann wohl gekündigt. Auf dem kurzen Dienstweg sozusagen. Desertiert! So schnell wie möglich weg aus Stanton - ab nach Pyro.
Hurston ist ja bekannt für seine absolut katastrophalen Arbeitsbedingungen. Ich musste unweigerlich an meine Mutter denken, die Drake auf dem Gewissen hatte. Die alte Wut kam wieder hoch: Diese Dreckskonzerne, die permanent in unser Leben hineinwirkten und immer aufs Neue Schaden in unseren Biografien anrichteten!
Ich holte tief Luft: „Das ist ja mal eine Geschichte! Hast du noch Kontakte zu der Polizeieinheit? Dann kennst du doch sicherlich die Prozesse, mit denen die kommunizieren, und sicherlich auch, wie andere Polizeieinheiten anderer Konzerne und die Advocacy kommuniziert. Sollte uns dieses Wissen helfen können?“
Ich war erstaunt über mich selbst, dass ich in der Lage war, sofort umzuschalten und solche Fragen zu stellen. Aber das Gefühl, gejagt zu sein, die ASD im Nacken zu haben, stand die ganze Zeit über im Vordergrund. Pike sagte dazu nichts. Ich ließ ihn auch in Ruhe, da ich zum einen sehr erfreut war, dass er mir so viel Vertrauen entgegenbrachte, mir diese Geschichte zu erzählen, und ich gleichzeitig das Gefühl hatte, dass ihn diese Geschichte wohl auch traumatisiert hatte. Neugierig war ich schon, doch ich musste Pike die Initiative überlassen, davon zu erzählen oder es zu lassen.
Ich wusste nicht warum, aber Pike hielt Brubacker und mir noch grinsend eine Schildkröte unter die Nase. Die hätte er aus Pyro mitgebracht. "Ja schön!" lachte ich, "Übersprungshandlung? Oder was?" Sofort musste ich an "PS-Günther" denken. Der Prophet habe ihn seelig!
Wir sprachen noch eine Weile über Ausrüstung und Möglichkeiten, uns der Station in Hathor zu nähern. Wir wollten uns wohl alle etwas ablenken und möglichst nach vorne schauen. Ich entschied mich letztendlich für dieses C54-Ding. Pike bot mir noch die P4 an – natürlich hatte er davon auch noch eine in der Kiste –, doch ich blieb bei dem anderen Teil. Es war einfach leichter...
Brubacker war der Ansicht, wir seien noch zu erschöpft, um jetzt loszulegen. Außerdem hofften wir alle, dass Friedrich zumindest so weit wieder zu Kräften käme, dass er an dieser Aktion mitmachen konnte.
„Okay, Leute, ich haue mich wieder hin.“ Bru setzte jetzt endlich mal seinen Helm ab und verließ den Hangar Richtung eigenes Hab. Pike und ich machten es im Prinzip genauso. Ich öffnete das quietschende Schott meines Habs und legte mich in die, im Vergleich zu Pyro, fast blütenfrische Bettwäsche. - Na, okay, ich neige zum Übertreiben!
Eine Nacht schlafen, hoffen, dass Friedrich dann wieder auf den Beinen war, und dann mit Brubackers frisch importierter Shack One nach Hathor fliegen. Das war der kurze Plan. Mehr gab es nicht, außer dieser einen Absicht. Wir wollten es alleine machen: ohne Slaps, ohne Tyr.
Der Gedanke an das Bevorstehende ließ mich dann doch wieder nur sehr unruhig schlafen.
Alaskalog Ende