
Ein kleiner weißer Punkt. Winzig, geradezu, aber gleißend hell, stechend — mitten in einer tiefschwarzen Dunkelheit. Wird der Punkt größer? Oder kommt er näher?
Ein heller Ton antwortet, wie von einer angeschlagenen Stimmgabel. Leise, ganz zart und dünn. Dann lauter, pulsierend, wellenförmig wie eine Sinuskurve.
Ich bekomme keine Luft. Irgendwo muss doch Luft herkommen! Mein Brustkorb schmerzt, als würde er aufgerissen. Brustkorb? Ich? Die Luft ist warm — zu warm.
Langsam: Ausatmen... Einatmen... Ausatmen... Einatmen... Es scheint zu klappen.
Ein dumpfes Pochen erfüllt meinen Kopf, eine Pulswelle, die von innen gegen die Schädeldecke drückt. Der Rhythmus passt nicht zu mir. Mein Herz, mein Puls — sie fühlen sich fremd an.
Der gleißend hell weiße Punkt wird größer. Ahhh! Es blendet! Meine Augen schmerzen, meine Pupillen reagieren zu langsam. Diese Helligkeit — plötzlich! Ich drehe den Kopf zur Seite. Das tut gut. Jetzt geht’s wieder. Es ist nicht mehr so hell.
Da ist noch ein Geräusch: ein Rauschen, ein Zischen. Es füllt den ganzen Raum, in dem ich liege. Mein Rücken schmerzt; ich liege auf etwas Hartem. Mein linker Arm kribbelt furchtbar. Ich kann ihn kaum heben — nicht einmal einen Finger. Ich fühle mich, als sei ich komplett atrophiert. Keine Kraft.
Einatmen... ausatmen... einatmen... ausatmen…
Ich muss einen klaren Gedanken fassen. Bunte Lichter tanzen vor meinen Augen. Durch graue Schlieren erkenne ich eine Schmiererei an der Wand: „Welcome Idiots!“
Sobald ich den Kopf zurückdrehe, blendet mich ein Scheinwerfer. Wieder zur Seite schauen — Mülltüten. Der ganze Boden ist bedeckt mit Mülltüten: Nadelsets, Nähzeug, blutige Pflaster verstreut. Und ein Gestank — etwas vergammelt hier. Dazu ein technischer Geruch: Ozon? Oder Insulin?
Ich spüre Zittern, klonische Muskelzuckungen. Selbst das Heben meiner Hand kostet eine Unmenge Kraft.
Wo bin ich? Wie viel Zeit ist vergangen? Minuten, die sich zu Stunden, zu Jahren, zu Jahrzehnten dehnen — doch bin ich gerade erst angekommen...
Uhhh! Ich muss mich aufrichten. Irgendwie hinsetzen. Mein Körper hat vergessen, was „oben“ und „unten“ bedeutet. Der Blutdruck fällt abrupt, orthostatische Dysregulation. Mir wird schwindelig. Kopfüber stürze ich aus dem Bett; ich komme hart auf, lande in diesem Dreck. Eine Unterlippe blutet. Ich habe mir irgendeinen Scheiß vom Boden in die Wunde gedrückt. Ich richte mich auf, halte mich am Bett fest und lasse den Blick schweifen. Eine kompakte, feste Liege, Datenkabel an den Wänden, Stromkabel, die zur Liege führen, ein seltsamer gelber Schlauch, aus dem viel zu warme Luft dringt — dieses Zimmer füllt sich mit einem stickigen, furchtbar erhitzten Gasgemisch. Ganz klar: eine Krankenstation auf einer Raumstation in Pyro.
Ich schaue an mir herab. Keine offenen Wunden zu sehen. Ich hebe die Hände hoch, bewege die Finger synchron — immer noch dieses dumpfe Kribbeln in den Fingerkuppen — doch Hände und Finger funktionieren. Gut. Sehr gut.
Das ist jetzt wirklich das erste Mal, das erste Mal, dass ich ein Imprint benutze. Also bin ich ganz neu. Ich kann es trotzdem nicht fassen. Aus was haben die mich gemacht?
Warum zum Teufel ein Imprint? Was ist passiert?
Meine Gedanken kreisen. Schleierhafte Bilder steigen aus den Tiefen meiner Erinnerungen: Ein Mann in einem viel zu großen Raumanzug rennt, mit einem grünen, leuchtenden Ei in beiden Händen wie von einer Tarantel gestochen. Um ihn herum Menschen in Raumanzügen, die mit Waffen wedeln und Kommandos brüllen.
Da ist es wieder — dieses ohrenbetäubende, zerreißende Brüllen! Die entsetzlichste Kreatur, die ich in meinem ganzen Leben gesehen habe. Ein gigantischer Wurm, fast dreißig Meter hoch. Dieses Brüllen — ich will weglaufen, doch in den Gebäuden hallt es nach. Es macht mich beinahe wahnsinnig. Schüsse. Wieder Schüsse.
Die Bilder verschwimmen, lösen sich auf. Das unerträgliche Brüllen scheint zu verblassen; dafür dringt wieder das Summen und Zirpen technischer Geräte an mein Ohr. Ich atme zu warme, feuchte, stinkende Luft. Ich habe das Gefühl, meine Arme und Beine gehören nicht mehr zu mir. Ah — da vorne! Ein Schott. Benommen mache ich meinen ersten Schritt in seine Richtung. Verdammt, das tut weh! Ich hebe meinen linken Fuß und sehe eine Fissur an der Ferse. Oh, Scheiße — ich bin in eine Nadel getreten. Ich bin komplett nackt. Wie komme ich hier heraus, ohne durch mehr Dreck zu waten?
Meine glasigen Augen suchen nach einer Flasche Desinfektionsmittel; glücklicherweise finde ich eine in Griffweite. Ich schütte die ganze Pulle auf den Fuß — eine riesige Pfütze schnell verdampfenden Mittels breitet sich aus. Das Brennen des Schnittes reißt, macht mich wach. Langsam sehe ich klarer. Also: da entlang, da vorne — ich kann da nicht hintreten. Auf zum Schott! Ich muss diesen Raum verlassen.
Plötzlich wird mir schwindelig. Neue Trugbilder tauchen auf. Halluzinationen? Da ist wieder der Wurm, das Brüllen ist zurück. Ich sehe mehrere Leute in einem Flur; mit gezogenen Waffen schießen sie auf etwas, das um die Ecke kommt. Ich werfe mich in Deckung. Angst übermannt mich; doch langsam beruhigt sich die Lage wieder. Die Gefahr scheint gebannt — vorerst.
Was ist das? In der Ecke liegen Mülltüten, und in ihrer Mitte ein… riesiger, grün leuchtender Kopion! Ich bin doch in einer Klinik — was macht ein toter Kopion hier? Ein Stoß von hinten schleudert mich in die Ecke. Da ist er wieder: jener Astronaut mit dem viel zu großen Anzug und dem Ei. Er hat mich über den Haufen gerannt. Verstört rapple ich mich auf und versuche, den Nadeln und blutigen Pflastern auszuweichen.
Verdammt — gibt es nichts, worauf ich mich setzen kann? Ich bin am Ende. Da: ein Paket. Mit knackenden Gelenken und Schwindel setze ich mich auf das Paket. Meine Lungen füllen sich noch immer mit viel zu warmer, feuchter, stinkender Luft. Ich lege den Kopf in die Hände und versuche, mich zu sammeln. Ich war in der ASD-Station! Warum bin ich jetzt hier?
Ach — Imprint. Ich bin gestorben? Wann?
Das Kribbeln in meinen Beinen lässt nach. Das brennende Desinfektionsmittel an meinem Fuß kühlt langsam. Mühsam rapple ich mich hoch, halte mich an Griffen und Kabelsträngen an der Wand fest. Der Schwindel lässt nach. Plötzlich hämmert es laut! Eine Stimme ruft: „Hey du Penner! Beweg deinen Arsch da mal raus! Du hängst hier schon viel zu lange rum. Da warten noch andere! Sieh zu, dass du da rauskommst, oder ich hole dich, du Arsch!“
Na hurra. Das Klinikpersonal hat wohl den Kurs in Empathie geschwänzt. „Okay, ich komme!“, rufe ich. Zweiter Versuch zum Schott. Diesmal sind die Beine stabiler, kein Kribbeln mehr, die Schmerzen erträglich. Mit zitternden Fingern drücke ich auf das Bedienfeld. Mit einem Knarzen und Quietschen schlecht geölter Metallteile schiebt es sich zur Seite. Vor mir steht ein Typ in hellblauer, ziemlich verdreckter Klinikkleidung.
„Das wurde ja auch Zeit!“, schnaubt er. „Du glaubst wohl, du bist der Einzige, dem wir diesen Service noch bieten! Dir ist schon klar, dass du zu einer privilegierten Minderheit gehörst.“
„Ja, schon gut…“, murmle ich, ohne ihm ins Gesicht zu sehen.
„Ihr Penner aus Stanton! Glaubt wohl, euch gehört die ganze Welt! Leistet euch Imprints, bis die Schwarte kracht. Unser einer beißt dagegen ins Gras — endgültig! Jetzt mach Platz und verpiss dich aus meiner Imprint-Kammer!“
„Kannst hier mal sauber machen…“, flüstere ich ihm zu, als er vorbeigeht.
Der Typ schiebt mich in den Flur. Hier ist die Luft etwas besser; der Gestank bleibt, aber die Temperatur ist niedriger — fast frische Luft, würde ich sagen. Der Typ verschwindet in der Kammer; das Schott gleitet hinter ihm zu. Augenblicklich verstummt das Summen und Fiepen der Geräte. Andere Geräusche drängen sich in den Vordergrund.
Ein Klinikflur — vermutlich Starlight oder Orbitory. Sieht aus wie ein Notstandsgebiet, im Prinzip wie die Imprintkammer, nur mit anderer Luft und anderer Geräuschkulisse. Benommen schwanke ich Richtung Aufzug und drücke den Knopf auf dem "Lobby" steht. Rappelnd bewegt sich der Aufzug; er spuckt mich in einem anderen Korridor aus. Ich kann kaum etwas sehen; Ausrüstungsterminals, Bildschirme von Versicherungsagenturen und Apotheken erhellen notdürftig den Raum. Ein grünes Licht fällt ein paar Schritte weiter aus einem zerrissenen Isolationsschlauch. Da muss ich durch.
Drogenabhängige sitzen auf dem Boden und lassen, wie Ärzte und Krankenpersonal, ihre benutzten Nadeln liegen. Ich muss aufpassen, nicht hinein zu treten. Ich gehe auf das grüne Licht zu. Das Summen fehlerhafter Klimaanlagen wird lauter; das Licht am Ende des Schlauches wird greller — unerträglich grell. Giftgrün!
Am Ende des Schlauches tobt offenbar ein Kampf: Ich höre Schüsse, und ein grüner Strahl scheint aus dem Maul eines gigantischen Ungetüms zu schiessen; die Leute vor ihm verbrennen. Eine Hand packt mich an der Schulter. Eine vertraute Stimme, Pike, herrscht mich an: „Wir müssen hier raus, Alaska! Los jetzt, raff dich auf, besinn dich, konzentrier dich! Wir werden unsere Arbeit nicht beenden können. Das Ding ist durchgedreht — wir werden angegriffen! ASD hat Verstärkung geschickt, und nicht wenig! Alaska! Jetzt werd wach! Ich schleife dich sonst am Gürtel mit…“
Taumelnd betrete ich den Isolationsschlauch, der die Klinikräume vom Rest der Raumstation trennt. Wo ist der Wurm? Er ist offenbar weggekrochen. Ein Glück — so etwas kann ich auf einer Raumstation nicht gebrauchen. „Weg da, du Schnarchnase! Mach Platz!“, ruft ein schwer bewaffneter Soldat, eine tätowierte Frau in Technikerkluft rempelt mich an und wirft mich fast zu Boden. Sie nimmt kaum Notiz von mir und geht weiter. Ich schüttele den Kopf. Würmer? Techniker?
Schwankend verlasse ich den Schlauch und betrete die Flure der Station. In den letzten Wochen sind diese Korridore, so entsetzlich ihr Zustand auch ist, zu einem vertrauten Anblick geworden; hier fühle ich mich fast sicher. Dort! Ein Ausrüstungsterminal. Ich drücke die Tasten, gebe meinen Code ein und erhalte standardmäßige Kleidung — wenigstens nicht mehr nackt und barfuß. Wenn ich hier ein Imprint hatte, müsste ich auch eine Kabine haben.
Meine Schritte werden fester, mein Gang sicherer. Stimmengewirr ertönt aus der Abflughalle. Auf dem Weg dorthin komme ich an den Habs vorbei. Ich steige in den nächsten ranzigen Aufzug und suche am Bedienpanel meinen Namen. Gefunden. Tatsächlich — ich scheine hier wirklich zu wohnen.
Überraschend geräuschlos gleitet das Schott zur Seite und gibt die Kabine frei. Ein paar private Utensilien liegen auf dem Bett, die ich kenne. Es ist meine Kabine. Eine halbe Flasche Lux steht auf einem kleinen Tisch. Ich greife sie, setze an und trinke alles in einem Zug leer. Das Zeug scheint schon länger gestanden zu haben; es schmeckt widerlich. Hoffentlich löscht es meinen Durst.
Mir wird wieder schwindelig. Ich muss würgen; schwallartig breche ich den gesamten Flascheninhalt zwischen meine Füße. Ein säuerlicher, widerlicher Geschmack überrollt mich. Oh, wie ich das hasse — ich habe die Schnauze so voll.
Ich werfe eine alte Hose, die in der Ecke liegt, über die Pfütze. Mehr kriege ich nicht auf die Reihe. Die Duschen in diesem Etablissement werde ich niemals betreten, das weiß ich. Vielleicht muss ich noch einmal in die Klinik, mir Feuchttücher holen oder was auch immer. Hinsetzen. Ich lege den Kopf in die Hände. Wieso habe ich eine Brille auf? Woher kommt die? Ich schaue in ein zerkratztes Edelstahlblech, das hier als Spiegel dient.
Die Brille sieht gar nicht so schlecht aus. Alles andere jedoch — ich sehe aus wie eine Kraterlandschaft auf dem Mond; meine Lippen haben immer noch einen grünlichen Schimmer. Liegt es an dem Imprint, der hier in Starlight generiert wurde? Ich trage diese Drecksinfektion noch immer in mir. Mein körperlicher Zustand ist so mies, dass ich die Symptome der Infektion kaum mehr spüre. Mein Kopf dröhnt, Gliederschmerzen, das Kribbeln in Fingern und Zehen kommt zurück. Ich muss mich hinlegen. Schlafen. Einfach schlafen.
Ein stechender Schmerz zuckt durch meinen linken Torso. Eine dumpfe Kälte breitet sich aus. Mir wird schwarz vor Augen. Ich bin getroffen! Ich falle zu Boden und bleibe auf einem Flur liegen. Um mich herum Schüsse. Das Gebrüll dieses Monsters ist wieder da — unerträglich laut. Im Raumhelm kann ich meinen Kopf drehen und sehe, wie rot-schwarz gekleidete Typen über einen Berg Leichen steigen.
Oh Gott — ich sehe die gelben Beine von Zeros Raumanzug, ebenfalls am Boden. Aus den Helmlautsprechern klingt entfernt Pikes Stimme: „Helft mir! Ich bin getroffen! Man down!“ Danach Stille. Nicht einmal das Brüllen dieses Ungetüms ist zu hören. Stattdessen leise Befehle: „Erledigt sie alle!“ Im Augenwinkel erkenne ich zwei Gestalten mit Pistolen, die zwischen den Getroffenen meines Teams stehen, und einem nach dem anderen völlig ruhig und ohne Skrupel Fangschüsse verpassen.
Gleich bin ich auch dran…
[...]
Ich sehe einen winzig kleinen, grellen Lichtpunkt und höre einen hellen Ton wie von einer Stimmgabel...
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